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Bundeskanzler Kern: "Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind eine Fiktion"

Bundeskanzler Christian Kern.
Bundeskanzler Christian Kern. ©AFP Photo/John Thys
Laut Bundeskanzler Christian Kern sei die Türkei weder jetzt, noch "in den kommenden Jahrzehnten" ein Kandidat für die Aufnahme in die europäische Union. Vielmehr brauche Europa einen neuen Weg, um die Türkei wirtschaftlich heranzuführen.

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sieht die Türkei nicht als potenziellen EU-Aufnahmekandidaten. “Nicht jetzt und nicht in den kommenden Jahrzehnten”, diagnostizierte Kern gegenüber der Tageszeitung “Die Presse” (Donnerstag-Ausgabe). “Man muss da der Realität ins Gesicht sehen: Die Beitrittsverhandlungen sind derzeit nicht mehr als eine Fiktion. Europa braucht einen neuen Weg.”

Das liege aber weniger an Präsident Recep Tayyip Erdogan und aktuellen “problematischen demokratiepolitischen Entwicklungen” als an “wirtschaftlichen Disparitäten”, so der Bundeskanzler. Solche gebe es auch schon im Hinblick auf den Zugang von Menschen aus südost- und zentraleuropäischen Staaten zum Arbeitsmarkt. “Und bei diesen Herkunftsländern ist der Abstand zum Lohnniveau noch vergleichsweise klein.

Kern: Wirtschaftliche Verwerfungen, die nicht vertretbar wären

Wenn man nun die Türe für die Türken öffnen und ihnen die vier Grundfreiheiten der EU (für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen) einräumen würde, “dann würde das zu massiven wirtschaftlichen Verwerfungen führen, die in Europa nicht mehr vertretbar sind”, so der sozialdemokratische Regierungschef.

Die EU solle vielmehr nach einem neuen machbaren Weg der wirtschaftlichen Heranführung der Türkei suchen. Denn bei aller Kritik bleibe die Türkei natürlich ein wichtiger Partner in sicherheitspolitischen und migrationspolitischen Fragen.

Kern glaubt nicht an Aufkündigung des Flüchtlingsdeals

Dass die Türkei nun das Abkommen mit der Europäischen Union in der Flüchtlingspolitik aufkündigt, glaubt Kern übrigens nicht: “Ökonomisch sitzen wir am längeren Ast. Die Türkei ist von uns weitgehend abhängig.” Europa sei jedenfalls kein Bittsteller gegenüber der Türkei. Deswegen hätten die Türken jeden Grund, vernünftig zu bleiben. “Die haben im Moment natürlich ihre Emotionen. Aber wenn man sich das ganz nüchtern ansieht, dann hat die Türkei viel zu verlieren.”

Ankara hätte die im Deal vereinbarte Schengen-Visa-Liberalisierung für türkische Staatsbürger lieber heute als morgen. Dafür hat die Türkei die meisten Punkte auch erfüllt, es hakt aber an der von Brüssel geforderten Reform der Anti-Terror-Gesetze. Nun kam zu dem bewaffneten Kurdenkonflikt auch noch ein gescheiterter Putsch dazu, so dass die türkische Regierung noch weniger Interesse an den Reformen zeigt.

Ohne die EU-Türkei-Vereinbarung, findet Österreichs Kanzler Kern, wäre die Schließung der Balkan-Route Makulatur. Das Problem würde dann zuerst nach Griechenland verlagert und später in Richtung Serbien und Ungarn. “Man kann dann nicht auf Dauer sagen: Das ist allein ein griechisches Problem. Das wird dann zum Problem für uns alle.”

(APA, Red.)

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