Ein Misstrauensantrag der Opposition hat nächste Woche im Parlament alle Chancen auf Zustimmung, da die Regierung dort seit dem Vorjahr über keine Mehrheit mehr verfügt. Es wird befürchtet, dass diese Entwicklung dem angestrebten EU-Beitritt des Landes schwer schaden könnte.
Zugespitzt hatte sich die Situation am vergangenen Freitag, als das Parlament seinen Präsidenten Ognian Gerdschikow abgesetzte. Mit 119 Ja-Stimmen votierte fast die gesamte Opposition für die Absetzung des Mitgliedes der Regierungspartei von Sakskoburggotski (Nationale Bewegung/NDSW). 114 Abgeordnete stimmten dagegen, sechs weitere waren nicht anwesend. Einer der Parlamentarier – Gerdschikow selbst – enthielt sich der Stimme. Die Abstimmung galt als Testlauf für das Misstrauensvotum gegen die Regierung.
Auslöser der jetzigen Krise war die geplatzte Privatisierung des staatlichen Tabakunternehmens Bulgartabak. Der Zigarettenhersteller British American Tobacco (BAT) hatte überraschend sein Angebot, drei von 22 Bulgartabak-Fabriken zu kaufen, zurückgezogen. Zwei zu diesem Thema beantragte Fragestunden im Nationalrat wurden dann von den Regierungsabgeordneten und dem Parlamentspräsidenten boykottiert. Daraufhin einigte sich die Opposition auf den Antrag zur Absetzung von Gerdschikow wegen Verstoßes gegen die Verfassung und auf den Misstrauensantrag gegen die Koalition von Sakskoburggotski auf Grund von Unfähigkeit zum Regieren des Landes.
Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung des Unternehmens und der damit verbundenen Tragweite eines Verkaufs waren die Privatisierungsversuche der vergangenen Jahre immer schon politisch hochbrisant. Gemeinsam mit ihren Familien sind 200.000 Bulgaren vom Tabakgeschäft abhängig.
Der Ausgang des Misstrauensvotums ist zwar noch nicht vorhersehbar, rein rechnerisch würde sich ein Erfolg der Opposition allerdings ausgehen. Die Koalition verfügt nur über 118 der 240 Sitze. Wie bulgarische Medien weiters berichteten, schmiedet die Opposition schon Pläne zur Bildung eines neuen Experten-Regierungsteams bis zur nächsten regulären Parlamentswahl Ende Juni. Mehrere Regierungsmitglieder äußerten bereits ihre Besorgnis darüber, dass nach der Absetzung von Gerdschikow die Regierung nicht zu halten sein werde. Die Regierung fürchtet nun nicht nur um das eigene Überleben, sondern auch um die Unterzeichnung der EU-Beitrittsverträge. EU-Ministerin Maglena Kunewa und Premier Sakskoburggotski warnten davor, dass eine Kabinettsumbildung dem schaden könnte.
Auch im Falle eines Erfolges des Misstrauensvotums bleibt der Ausgang der Krise jedoch offen. Ein Bündnis von elf rechtsgerichteten Parteien unter der Führung der im Parlament vertretenden Union der demokratischen Kräfte (SDS) hat sich nach einem Treffen für vorgezogene Neuwahlen ausgesprochen. Einer Abgeordneten zufolge strebt ein Teil der oppositionellen Fraktionen jedoch die Bildung einer interimistischen Experten-Regierung an, was von zehn der elf Parteien abgelehnt wird. Einigkeit herrscht in der Opposition somit lediglich hinsichtlich des Misstrauensvotums. Wie es danach weiter gehen soll, weiß wohl keiner so recht.
Als einzige Notbremse gilt eine rasche Kabinettsumbildung. Der Ministerpräsident zieht dies bereits in Erwägung. Alle Möglichkeiten werden geprüft und diskutiert, sagte Sakskoburggotski nach der Nationalratssitzung am Freitag in Sofia gegenüber der Tageszeitung Standart. Das Blatt berichtete weiters von bizarren Ereignissen rund um das Votum. Demnach habe die regierende NDSW in der Nacht vor der Abstimmung Stimmen für sich eingekauft. Oppositionsabgeordneten sei Geld angeboten worden, damit sie krank werden und der Parlamentssitzung fern bleiben, schrieb Standart.