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Buch Wien: Österreichischer Buchpreis geht an Eva Menasse

Eva Menasse ist Trägerin des Österreichischen Buchpreises.
Eva Menasse ist Trägerin des Österreichischen Buchpreises. ©APA/HERBERT PFARRHOFER
Der Österreichische Buchpreis ging am Montagabend, den 7. November, an die in Berlin lebende österreichische Autorin Eva Menasse (47). Sie wurde für ihren Erzählband "Tiere für Fortgeschrittene" ausgezeichnet.

Die in Berlin lebende österreichische Autorin Eva Menasse (47) ist am Montagabend im Burgtheater-Kasino für ihren Erzählband “Tiere für Fortgeschrittene” mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet worden. Der Debütpreis ging an die 1978 in Teheran geborene und in Graz lebende Nava Ebrahimi für ihren Roman “Sechzehn Wörter”. In “Tiere für Fortgeschrittene” nähert sich Eva Menasse, die heuer bereits den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg entgegennehmen konnte, ausgehend von kuriosen Tiermeldungen menschlichen Verhaltensweisen an. Dabei entsteht ein schillerndes Panorama zwischen Alltäglichkeiten und Abgründen. Die Wiener Journalistin (“profil”, “FAZ” u.a.) debütierte 2005 mit dem Roman “Vienna” als Schriftstellerin. Es folgten u.a. der Erzählband “Lässliche Todsünden” (2009) und der Roman “Quasikristalle” (2013).

Jury hatte 141 Werke gesichtet

Die fünfköpfige Jury – bestehend aus der Buchhändlerin Petra Hartlieb, dem Germanisten Klaus Kastberger sowie den Journalisten Klaus Nüchtern, Kristina Pfoser und Wiebke Porombka – hatte insgesamt 141 belletristische, essayistische, lyrische und dramatische Werke gesichtet. Neben Eva Menasse waren ihr Halbbruder Robert Menasse (“Die Hauptstadt”), Paulus Hochgatterer (“Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war”), Brigitta Falkner (“Strategien der Wirtsfindung”) und Olga Flor (“Klartraum”) auf die Shortlist für den mit 20.000 Euro dotierten und heuer zum zweiten Mal vergebenen Preis gekommen. Im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an Friederike Mayröcker.

Debütpreis geht an Nava Ebrahimi

Den mit 10.000 Euro dotierten Debütpreis konnte Nava Ebrahimi, die Journalismus und Volkswirtschaftslehre in Köln studierte, für ihr Romandebüt entgegennehmen. In “Sechzehn Wörter” lässt sie ihre Hauptfigur Mona gemeinsam mit ihrer Mutter von Köln zur Beerdigung ihrer Großmutter in den Iran reisen. Die Reise wird zur Konfrontation mit vielen Fragen zu Identität und Herkunft.

Eva Menasses Werdegang

Seit 2005 ist Eva Menasse literarisch tätig, zwei Romane “Vienna” und “Quasikristalle”, zwei Erzählbände (“Lässliche Todsünden”, “Tiere für Fortgeschrittene”) und ein Essayband (“Lieber aufgeregt als abgeklärt”) sind seither entstanden. Die Liste der Preise, die die in Berlin lebende Wienerin in dieser Zeit erhalten hat, ist genauso lang. Nun ist auch der Österreichische Buchpreis dazugekommen. Am 11. Mai 1970 geboren, studierte Eva Menasse Germanistik und Geschichte. Als Journalistin reüssierte sie rasch. Sie war Redakteurin der Nachrichtenmagazine “profil” und “Format” und wechselte in das Feuilleton der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”. Für die “FAZ” begleitete sie den Londoner Prozess gegen den Holocaust-Leugner David Irving. Ihre diesbezügliche Reportagesammlung “Der Holocaust vor Gericht” war 2000 ihre erste Buchveröffentlichung. 2003 übersiedelte sie nach Berlin, wo sie mit dem Schriftsteller Michael Kumpfmüller einen Sohn hat.

Autorin war für Leipziger Buchpreis nominiert

Ihr Debütroman “Vienna” erschien 2005 im Kiepenheuer & Witsch Verlag mit einer Startauflage von erstaunlichen 50.000 Stück. Die Geschichte einer typischen Wiener Familie mit jüdischem und tschechischem Einschlag umfasste bekannte (ihr Vater war ein berühmter Fußballer, ihr Halbbruder ist der kürzlich mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Robert Menasse) und weniger bekannte, dafür umso skurrilere Figuren. “Ich habe versucht, meine Familie neu zu erfinden” und “die Brüche des 20. Jahrhunderts” sowie deren Einfluss auf das Leben ihrer Familie einzufangen, sagte die Autorin damals im APA-Gespräch. Schon mit ihrem Debüt erhielt sie den Corine-Buchpreis, war für den Leipziger Buchpreis nominiert und erlebte, was sie auch später immer wieder feststellen sollte: die Diskrepanz der Rezeption in ihrer Heimat und ihrer Wahlheimat.

Menasse beschäftigen “spannungsvolle Gegensätze”

“Je länger ich weg bin, desto komischer kommt mir Österreich vor”, sagte sie schon damals. Auch 2009, als ihr Erzählband “Lässliche Todsünden” erschien, beschäftigte sie sich als Eröffnungsrednerin der Buch Wien mit Österreich, “meiner Heimat, meinem Land, meinem Verhängnis”. In Deutschland schwanke sie zwischen Scham für ihr Land (“oft genug”) und “Anfällen wilden Patriotismus”. Obwohl Schimpfen in Österreich Tradition habe, wolle sie sich nicht mit Tagesaktualitäten wie Fremdenrecht, Alltagsrassismus oder Studentenprotesten beschäftigen, sondern mit den “spannungsvollen Gegensätzen”, die der Österreicher eingebaut habe: “Nach außen hin sind wir ein ruhiges, glückliches kleines Land”, doch “wenn wir unter uns sind, sind wir dauernd gereizt bis aufs Blut.”

Menasse von Atwood beeindruckt

Dass sie beredt ihre Zornesader schwellen lassen kann und ihr Engagement immer wieder in kämpferische Wortmeldungen fasst, belegen ihre Reden und Essays, die 2015 in dem Band “Lieber aufgeregt als abgeklärt” zusammengefasst wurden. Jüngst ist ihre Laudatio auf Margaret Atwood bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hinzugekommen. Atwoods Werk zeige besonders gut, “wie Literatur sein muss, um auch eine politische Wirkung zu entfalten”, so Menasse.

“Quasikristalle” als literarisches Experiment

In dem Roman “Quasikristalle” (2013) wagte sie – angeregt durch die Entdeckungen des Chemie-Nobelpreisträgers Daniel Shechtman – ein literarisches Experiment: das Porträt einer Frau aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Das von Shechtman entdeckte Ordnungsprinzip habe sie “als passende Metapher für das Buch bestechend gefunden”, sagte die Doderer-Verehrerin im Interview mit der APA. “Ich glaube, dass es, weil wir eben als Menschen auch unberechenbar und unlogisch sind, in Biografien immer Dinge gibt, die eigentlich nicht hineinpassen.”

In Eva Menasses Biografie müssen das andere Dinge sein als Literaturpreise. Denn da fügt sich der Österreichische Buchpreis nach dem Heinrich-Böll-Preis, dem Literaturpreis Alpha, dem Jonathan-Swift-Preis und den Friedrich-Hölderlin-Preis ganz ausgezeichnet ein.

Eva Menasses “Tiere für Fortgeschrittene”

Mit dem “Vienna” hat die ehemalige Journalistin Eva Menasse 2005 als Autorin debütiert. Für den Erzählband “Tiere für Fortgeschrittene” hat die in Berlin lebende Wienerin nun den Österreichischen Buchpreis erhalten. Ausgehend von kuriosen Tiermeldungen nähert sie sich darin menschlichen Verhaltensweisen an. Dabei entsteht ein schillerndes Panorama zwischen Alltäglichkeiten und Abgründen. Wer kennt sie nicht, die Fotos von Igeln, die sich in McFlurry-Eisbechern verkeilt haben? Ein tragischer Umstand, der McDonald’s schließlich veranlasste, den Eisbecher neu zu gestalten. Ein solcher Igel kommt in einer der acht in “Tiere für Fortgeschrittene” (Kiepenheuer & Witsch) versammelten Erzählungen tatsächlich vor. Doch nicht in alle Geschichten haben die Tiermeldungen tatsächlich auch Eingang gefunden. Vielmehr bilden sie, den Kapiteln jeweils vorangestellt, einen feinen Faden, der sich um die jeweiligen Geschichten spinnt. Innerhalb des erzählerischen Rahmens bestimmter Situationen breitet Menasse Lebensgeschichten aus, analysiert die Auswirkungen von Vergangenem auf die konkrete Gegenwart und zerpflückt jahrelang aufgebaute Beziehungen in einzelnen, entlarvenden Szenen.

Menasse legt Mikrokosmos der Liebe offen

Im Falle von “Igel” ist es die chaotische Micol, ein “entzückend exaltiertes Wesen mit vielen Talenten”, die ihr unstetes (Berufs)leben durch die Heirat mit einem finanziell gut ausgestatteten Geschäftsmann ausgleicht. Ein Blitzlicht auf die von aufrichtiger Liebe durchdrungene, aber sehr von Abhängigkeit geprägte Beziehung, wirft Menasse mithilfe eines Kurzurlaubs in Italien, der den Mikrokosmos dieser Liebe offenlegt. Es liegt auf der Hand, dass auch Micol – gleich dem Igel – bisweilen das Gefühl beschleicht, direkt an der süßen Futterquelle zu ersticken.

Erzählung “Raupen” von Tabakschwärmer-Raupen inspiriert

Weniger deutliche Bezüge bietet etwa die Erzählung “Raupen”, inspiriert von den Tabakschwärmer-Raupen, die sich beim Fressen ungewollt ihr eigenes Grab schaufeln: Konrad lebt allein mit seiner dementen Ehefrau Grete; die heftigen Auseinandersetzungen mit seinen Töchtern, die auf Hinzuziehung einer entsprechenden “Dienstleistung” pochen, sitzt er in seinem Keller aus, wo er nicht nur dem Pornokonsum huldigt, sondern auch akribisch an der perfekten Todesanzeige arbeitet. Menasse zeichnet die Zerrissenheit, die liebevolle Verzweiflung, die hingebungsvolle Selbstaufgabe mit kunstfertigen Sätzen, die den Leser angesichts des eigenen künftigen Verfalls schaudern lassen.

Autorin zeigt gnadenlosen Blick auf weibliche Schicksale

Die salzigen Tränen des Krokodils, auf dessen Kopf sich angeblich bisweilen Bienen und Schmetterlinge auf Nahrungssuche niederlassen, sind in “Schmetterlinge, Biene, Krokodil” Ausgangspunkt für die familiäre Alltagshölle von Tom, einer Frau im mittleren Alter, die an ihrem Versuch, die perfekte Patchworkfamilie zu orchestrieren, innerlich zerbricht. Auch hier ist es ein Urlaub, seine Vor- und Nachwirkungen, der den Schauplatz für Menasses gnadenlosen Blick auf weibliche Schicksale bildet.

Poetische Bestandsaufnahme der kleinen Besonderheiten des Alltags

Unter dem Eindruck vom Tod des besten Freundes (“Jetzt, in diesem Moment, könnte er noch kämpfen, wobei sich Tom nicht vorstellen mag, wie das genau aussähe. Wahrscheinlich sehr viel stiller als das Bewegung vortäuschende Verb.”) lässt sich Tom zur Buchung eines Pauschalurlaubs in der Türkei hinreißen, der zwar die Kinder (das eigene und die beiden ihres Mannes) restlos begeistert, aber die Bruchlinien in ihrer Beziehung zu Georg offenlegt. Und so ist “Tiere für Fortgeschrittene” eine poetische Bestandsaufnahme der kleinen Besonderheiten des Alltäglichen und macht deutlich: Was bei Tieren kurios erscheint, lässt sich beim Menschen auf den zweiten Blick schnell wiederfinden.

APA/Red.

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