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Brüssel: Ringen um Stabilitätspakt-Reform

Die Euro-Finanzminister ringen seit Sonntagnachmittag wieder um eine flexiblere Auslegung des Euro-Stabilitätspaktes. Grasser will dem aktuellen Entwurf noch "ein paar Giftzähne ziehen".

Mehrere Minister zeigten sich optimistisch vor den Beratungen bei einem Sondertreffen in Brüssel, auch der österreichische Ressortchef Karl-Heinz Grasser betonte, er „hoffe auf eine Einigung heute“ und wolle zu einem Konsens beitragen. Allerdings war für Grasser der jüngste Kompromissvorschlag der luxemburgischen EU-Ratspräsidentschaft „nicht annehmbar“. Gelangen die EU-Finanzminister zu keiner Einigung, müssen die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel am Dienstag und Mittwoch entscheiden.

„Die Finanzminister haben die Verantwortung, heute einen Konsens über einen reformierten Stabilitätspakt zu Stande zu bringen“, sagte Grasser vor Beginn des Treffens. Sein deutscher Kollege Hans Eichel betonte, er sei „einigungsorientiert“. Es gehe um nachhaltiges Wachstum in Europa. Eichel warb erneut für die Berücksichtigung der „enormen Lasten“, die Berlin durch die deutsche Wiedervereinigung zu tragen habe. Der niederländische Finanzminister Gerrit Zalm betonte, er hoffe heute auf eine abschließende Einigung. EU-Ratsvorsitzender Jean-Claude Juncker zeigte sich zurückhaltend. Er appellierte an die Sitzungsteilnehmer, in den Verhandlungen „Bewegungsmasse“ zu zeigen.

Der Streit um die relativierenden Ausnahmetatbestände bei der Beurteilung der Defizite ist weiterhin ungelöst. Grasser kritisierte, dass auch Ausgaben für „internationale Solidarität“ und für „europäische politische Ziele“ nach dem jüngsten Kompromissvorschlag bei der Einleitung eines Defizitverfahrens berücksichtigt werden sollen. „Das ist natürlich alles“, so Grasser. Ein solcher Kompromiss wäre „ein Freibrief für immer mehr neue Schulden“.„Wir müssen diesem Papier in jedem Fall ein paar Giftzähne ziehen“, betonte er.

Zweifel an einer Einigung am Sonntag meldete der finnische Finanzminister Antti Kalliomäki an. Grasser betonte, auch Österreich sei für eine grundsätzlich Flexibilisierung des Paktes. So sollten etwa Ausgaben im Sinne der Lissabon-Agenda zur Steigung von Wachstum und Beschäftigung in Europa berücksichtigt werden.

Eine Reform des Euro-Stabilitäts- und Wachstumspaktes wird von den meisten Regierungen als notwendig erachtet, da im Vorjahr bereits neun von 25 EU-Staaten die Drei-Prozent-Grenze gebrochen haben, darunter die chronischen „Defizitsünder“ Deutschland und Frankreich. Die Defizitschwelle soll auch in Zukunft bei drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen, jene der zulässigen Gesamtverschuldung bei 60 Prozent, jedoch ergänzt um zahlreiche mildernde Ausnahmebestimmungen.

Anders als bisher würde der Kompromissvorschlag den EU-Staaten selbst einen Interpretationsspielraum über die Auslegung der Bestimmungen einräumen. Grundsätzlich sollen „Budgetsünder“ ein Jahr nach Feststellung, also zwei Jahre nach dem Auftreten eines übermäßigen Defizits, wieder einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen. Unter „speziellen Umständen“, die nicht näher definiert sind, kann der EU-Ministerrat jedoch diese Frist um ein weiteres Jahr verlängern. Überhaupt wäre eine neue Empfehlung der EU-Kommission bei Feststellung des Verstoßes oder bei Zwangsauflagen durch den EU-Ministerrat erforderlich, wenn „unerwartete widrige wirtschaftliche Umstände mit weitgehenden ungünstigen Auswirkungen auf das Budget“ in der Zwischenzeit hinzukommen.

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