Franz Fischler verwies darauf, dass allein die Agrarsubventionen für die Türkei pro Jahr 11,3 Mrd. Euro betragen könnten, mehr als für alle zehn im Mai neu aufgenommenen Mitgliedsländer zusammen. Der scheidende Kommissar warnte zudem vor einem fundamentalistischen Backlash in dem moslemischen Land. Der türkische Beitritt werde vor allem von den USA und Großbritannien unterstützt, gab Fischler zu bedenken. Ob dies das politische Projekt der EU schwäche, sei nicht die größte Sorge dieser Länder.
Außerdem könne man nicht länger die öffentliche Meinung ignorieren, so Fischler. Er verlangte nach einem Plan B, etwa einen speziellen Partnerschafts-Status, der der Türkei helfen sollte, den Reformschwung aufrecht zu erhalten.
Patten für Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
Fischlers britischer Amtskollege Patten sagte dagegen bei einer Veranstaltung des European Policy Center in Brüssel, es könne keinen Zweifel daran geben, welch große Auswirkungen eine Ablehnungen auf die Staaten der Arabischen Liga hätte. Bei der Türkei handle sich um ein großes islamisches Land, das sich in den vergangenen Jahren um Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, Bürger- und Menschenrechte sowie Verringerung des Einflusses des Militärs bemüht habe, so Patten: Können wir da sagen, sorry, ihr habt die Reformen gemacht, aber ihr seid nicht wirklich europäisch?
Ein türkischer Beitritt sollte auch im Licht des Bevölkerungsrückgangs in der EU sowie eines sinkenden Anteils am weltweiten wirtschaftlichen Output gesehen werden, meinte Patten. Allerdings müsste es im Falle einer türkischen EU-Mitgliedschaft zu einem dramatischen Wandel in der Agrarpolitik und in Sachen Strukturfonds kommen.
Die scheidende EU-Kommission will im Oktober einen Bericht vorlegen, in dem die Erfüllung der politischen und wirtschaftlichen Kriterien für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei erörtert werden. Das 30-köpfige Gremium trifft seine Entscheidungen in der Regel durch Mehrheitsbeschluss. Die endgültige Entscheidung über den Beginn von Verhandlungen mit der Türkei liegt bei den EU-Staats- und Regierungschefs. Dabei ist ein einstimmiger Beschluss der 25 EU-Staaten nötig.