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Brisanter Rechtsstreit um ein Gutachten von Gerichtspsychiater Haller

Schwarzach - Bedient sich der renommierte und und von der Justiz vielbeschäftigte Gerichtspsychiater Reinhard Haller überholter Methoden? Diese Frage wirft ein 28 Seiten umfassendes Urteil des Landesgerichts (LG) Innsbruck auf, das der APA vorliegt.

Haller hatte für einen Langzeithäftling, der seit 31 Jahren durchgehend im Gefängnis sitzt, eine Gefährlichkeitsprognose erstellt, auf deren Basis die bedingte Entlassung des mittlerweile 61-jährigen Juan Carlos Chmelir abgelehnt wurde. Dem – nicht rechtskräftigen – Urteil 59 Cg 211/09v zufolge darf behauptet werden, bei diesem Gutachten handle es sich um einen “Kunstfehler”.

Selbiges hatte der klinische Psychologe und gerichtlich zertifizierte Sachverständige Klaus Burtscher im Juli 2009 gegenüber der Wochenzeitung “Die Furche” erklärt. Burtscher behauptete im Detail, Hallers Expertise weise “schwere Mängel auf”, da sich dieser Untersuchungsmethoden bedient habe, die “völlig veraltet und schon lange nicht mehr Stand der Wissenschaft sind”. Haller hätte bei der Begutachtung Chmelirs, der 1978 bei einem Postüberfall einen Mann erschossen hatte und inzwischen der am längsten einsitzende Häftling Österreichs ist, “keine international abgesicherten Verfahren für Persönlichkeitstest durchgeführt”.

Der solcherart angegriffene Psychiater klagte daraufhin Burtscher, dem er die fachliche Qualifikation zur Beurteilung der von ihm, Haller, verwendeten Tests abspricht, auf Unterlassung und Widerruf seiner Behauptungen. Zumindest in erster Instanz erlitt der anerkannte Gutachter jedoch eine juristische Schlappe: Seine Anträge wurden zur Gänze abgewiesen.

Für Hallers Anwalt Michael Rami ist allerdings das letzte Wort noch nicht gesprochen. Er hält das Gerichtsurteil für “rechtlich verfehlt”, wie er im Gespräch mit der APA darlegte: “Das Gericht hat sich geirrt. Wir haben daher unserem Mandanten empfohlen, Berufung einzulegen.” Mit dem Rechtsmittel muss sich das Oberlandesgericht (OLG) Innsbruck auseinandersetzen. Haller war für die APA vorerst telefonisch nicht erreichbar.

Das Erstgericht stellte in seiner Entscheidung grundsätzlich fest, es sei vorerst nicht zu klären, ob in Bezug auf das umstrittene Gutachten die Aussagen Burtschers den Tatsachen entsprechen. Richter Andreas Stutter hält es jedoch für “bewiesen, dass es für den Beklagten durchaus Anhaltspunkte gegeben hat und gibt, seine Ansicht, die vom Kläger eingesetzten Tests seien ‘völlig veraltet und schon lange nicht mehr Stand der Wissenschaft’, sei richtig”, heißt es im Urteil.

Haller hatte Chmelir unter anderem mit dem Baumzeichen-Test und dem sogenannten Wartegg-Zeichen-Test (WZT) einer testpsychologischen Untersuchung unterzogen. Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) hat bereits 1999 festgestellt (Aktenzeichen 1 StR 618/98), dass diese Tests “keine wissenschaftlich fundierten Verfahren” darstellen. Auch einige namhafte Wissenschafter halten sie für überholt.

Haller hielt dem im von ihm angestrengten Verfahren entgegen, die Tests wären “in ihren Grenzen, also als Hilfsbefunde aussagekräftig”. Sie dienten nur dazu, “etwas leicht abzurunden, zu vervollständigen”. Für die forensische Psychiatrie entscheidend wären nicht diese Tests, sondern die Exploration, die Anamneseerhebung und die Psychopathologie. Er habe sein Gutachten “nach den Regeln der Kunst erstellt” und dieses sei auch “richtig”, betonte Haller in seiner gerichtlichen Befragung, deren Protokoll der APA vorliegt.

In seinem Urteil hält der Richter demgegenüber fest: “In zahlreichen Publikationen werden die vom Kläger eingesetzten projektiven Tests, nämlich der Wartegg-Zeichen-Test und auch der Baumtest, als außerhalb der wissenschaftlichen Psychologie stehend bezeichnet, sodass es seit Jahrzehnten keine Neuauflagen mehr gebe”. Die Validität sei umstritten, ebenfalls die Reliabilität und die Objektivität. Dementsprechende Äußerungen fänden sich in universitären Lehrbüchern: “Die Autoren sind teilweise Inhaber von universitären Lehrstühlen.” Folglich sei “die Gesamteinschätzung des Beklagten gerechtfertigt, dass international abgesicherte Persönlichkeitstests nicht zum Einsatz gekommen sind”, so die Schlussfolgerung der ersten Instanz.

Für den Rechtsvertreter des betroffenen Häftlings hat die Causa eine weit über den Einzelfall hinausreichende Tragweite. “Professor Haller hat im Lauf des Verfahrens angegeben, insgesamt 10.000 Gutachten und mehrere hundert Prognosegutachten erstellt zu haben und dass alle seine Gutachten unrichtig wären, wenn der Wartegg-Zeichen-Test und der Baumtest mangelhafte Gütekriterien aufweisen würden”, so der Salzburger Rechtsanwalt Helmut Schott gegenüber der APA. Folge man dem vorliegenden Urteil, “dann ermöglichen es diese überholten Tests bei Prognosegutachten dem Psychiater, willkürlich zu befinden, ob jemand gut oder böse ist. Das ist ein Skandal für jeden betroffenen Häftling.” Schott will nun für Juan Carlos Chmelir einen neuerlichen Enthaftungsantrag einbringen. Zugleich kündigte er eine Schadenersatz-Klage gegen Haller an.

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