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Brian Wilson beim Jazz-Fest bejubelt

Der Ex-Beach Boy lieferte gestern ein Konzert, das so schnell niemand vergessen wird...

Wie düster all diese Sonne, all dieser Sand, all diese gute Stimmung der stählern lächelnden Surferjungs eigentlich ist – niemand hat das je besser beschrieben als Brian Wilson in seinen komprimierten Dreiminuten-Miniaturen, die „Good Vibrations“ auf der Zunge und tiefe Depression im Herzen führten. Gestern, Dienstag, Abend war Wilson in Wien – und lieferte ein Konzert, das so schnell niemand vergessen wird.

65 Jahre ist er seit kurzem alt, und nicht nur deswegen schon lange kein Beach Boy mehr. Der Ausnahme-Songschreiber hat sich am Druck des Vaters, an Drogen und am eigenen Anspruch in den 60ern rasch aufgerieben und war erst vor wenigen Jahren mit der Vollendung seines vier Jahrzehnte der Fertigstellung harrenden Opus summum „Smile“ zurückgekehrt. Nun saß er auf der Bühne der Wiener Staatsoper, in rotem Pulli mit weißem Hemdkragen, mit unbeweglicher Miene, und sang alte Hits von „Fun Fun Fun“ über „Heroes and Villains“ bis „Good Vibrations“ und „Surfin’ USA“.

Und er wirkte zuerst vor allem eines: verloren, wie er – einer Bauchredner-Puppe gleich – die Liebesgeplänkel und Beziehungskonstellationen seiner Songs nachstellte. Griff ans Herz, imaginäre Tränen wegwischend. Dazu sang er, weit entfernt von seiner ehemaligen Falsettstimme, die kernigen Töne eines alternden Mannes. Das hatte dann phasenweise etwas vom Familienfest, bei dem der Opa von seinen großen Taten berichtet und, etwas tapsig geworden, aber im Inneren noch voller Stolz und Feuer, die gute alte Zeit nachstellt. Und die kleinen Enkeln wissen nicht, ob sie sich fürchten oder ob sie lachen sollen.

Doch das Staatsopernpublikum brauchte keine Anleitung, wie es zu reagieren hatte: Mit Begeisterung. Denn Wilson ist nach wie vor eine Ausnahmeerscheinung, der keine Choreografie, kein weißzahniges Grinsen braucht. Sondern der die seltene Gabe hat, Stimmungen auf den Punkt zu bringen und gleichzeitig zu hinterfragen, so dass die Songs auch vier Jahrzehnte nach ihrer Entstehung und trotz Verhaftetsein in den 60ern noch gültig sind. Die große (und zum Großteil ebenso alte) Band, die Wilson mithatte, ließ den notwendigen Sound, den das benötigt, professionell wiederaufleben. Emotionaler Höhepunkt: „Mein liebster Song von allen, die ich geschrieben habe“, kündigte Wilson „God Only Knows“ an, und trotz brüchiger Stimme folgte ein bewegender Moment der Sonderklasse.

Gleich zu Beginn des Konzerts begrüßte das Publikum Wilson mit Standing Ovations, bei den Zugaben wurden im Auditorium nicht mehr taufrische Gliedmaßen geschüttelt und herumgeschleudert, dass es einen (außer, man ist Orthopäde) mit Sorge füllen konnte. Fast verschreckt war Wilson nach dem Hauptteil des Konzerts von der Bühne gegangen, kaum ein Gruß ins Publikum, wie ziellos. Doch zurück zur Zugabe kam er gelaufen, hängte sich eine Bassgitarre um, die er danach so wenig spielte wie das Keyboard, hinter dem er den ganzen Abend gesessen war. Und, immer noch kaum eine Gliedmaße rührend, legte Wilson noch einmal los. Und man war froh, dabei gewesen zu sein.

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