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"Brüder Karamasow" im Akademietheater

Hat Gott die Menschen erschaffen, oder haben die Menschen sich Gott erschaffen? Gute, alte Frage. Bei Nicolas Stemanns Bühnenfassung des gewaltigen Dostojewskij-Romans "Die Brüder Karamasow" ist sie rasch gestellt.

In dreidreiviertel Stunden bekommt man im Akademietheater eine Ahnung der verschiedenen Schichtungen zwischen Gottsuche und Vatermord, Eifersuchts- und Erbschaftsdramen, Philosophie und Kolportage. Stemann hat, anders, als man es von ihm gewohnt ist, aus der Vorlage nicht einfach wüste, rasende, bunte Bilder geprügelt, sondern nachgedacht und eingedickt. Die servierte Essenz ist interessant, wenngleich phasenweise weniger aufputschend als einschläfernd. Der Applaus bei der Premiere am Samstag war kurz, aber herzlich.

Die Theatermittel, mit denen Stemann arbeitet, sind ebenso einfach wie die Bühne von Katrin Nottrodt, die mit kleinen Versatzstücken und einer zunächst als Boden, danach als schiefe Spielebene und Wand dienenden Metallfläche arbeitet. Kurze Textprojektionen geben schlagwortartige Orientierungshilfe. Denn die brauchen nicht nur die Zuschauer, sondern alle, die da versammelt sind, auf ihrem Herumirren zwischen Seelenheil und Lebensglück.

Die packenden Momente bezieht die Aufführung, die mit Slapstick (schön die über das Realspiel projizierten Filme in einem zweistöckigen, lebensgroßen Puppenhaus) ebenso arbeitet wie mit Tragödienelementen, aus dem direkten, trockenen Ton und der Zwiesprache mit dem Publikum. Wenn die Aufführung aus der ersten Publikumsreihe heraus begonnen wird und Hans Dieter Knebel erklärt, er sei anno ’71 in Paris dabei gewesen und verstünde die jungen Leute und ihre neue Religiosität nicht, dann ist das nicht nur witzig, sondern stellt sofort einen Gegenwartsbezug her. Wenn am Ende ein dicklicher Ministrant mit dem Inbrunst der Überzeugung feststellt, er sei Atheist und Gott eine Hypothese und Aljoscha Karamasow (Sebastian Rudolph) lachend erwidert “Wer hat dir solchen Quatsch erzählt?”, dann entsteht daraus eine schöne Klammer.

Dazwischen wird es manchmal fad und bisweilen fahrig, die Beziehung der titelgebenden Brüder Karamasow (neben Sebastian Rudolph noch Joachim Meyerhoff als Iwan und Philipp Hochmair als Dimitri) untereinander wird nie ganz klar, dafür ist die Vater-Sohn-Rivalität zwischen dem verhuschten Vater (Martin Schwab) und seinem Sohn Dimitri rund um die lebenslustige Gruschenka (Myriam Schröder) ebenso wie die spätere Suche nach dem Mörder des Vaters gut herausgearbeitet. Der Zug zum Tor, der Hang zu Wahnsinn und Exzess, der gerade das Theater des Nicolas Stemann bisher auszeichnete, und der von der Papierform her so gut zu Dostojewskij gepasst hätte, macht jedoch einer neuen Sorgsamkeit Platz, die nicht ganz befriedigt.

Das Paradestück, die Erzählung vom “Großinquisitor”, der Gott endgültig von der Erde vertreibt, lässt sich Stemann jedoch nicht entgehen. Die Erwartungshaltung von Anfang an schön aufgebaut (“Ich habe ein Poem geschrieben… Vielleicht haben Sie nachher ja noch zehn Minuten Zeit…”), bringt sie Joachim Meyerhoff schließlich als Lesung (“Iwan Karamasow liest aus ‘Der Großinquisitor'”, verkündet das Insert) und zieht das Publikum mühelos in seinen Bann. Auch mit Berichten von Kindesmisshandlungen stellt Meyerhoff, der sich an diesem Abend erneut als ein Darsteller mit ungeheurer Bühnenpräsenz erweist, den Schrecken auf die Bühne und schlägt den Bogen mühelos ins Heute.

Mit zwei Mammutunternehmen hat das Burgtheater das Jahr 2007 abgeschlossen. Nach “Wallenstein” überzeugen auch die “Brüder Karamasow” nicht restlos. Aber nur wer nichts wagt, gewinnt auch nichts. Das nächste Roman-Monster lauert übrigens noch heuer, wenngleich im wesentliche kleineren Schauspielhaus: In der Porzellangasse macht man sich am Silvesterabend an das Erklimmen der “Strudlhofstiege”. Das Projekt ist auf zwölf Teile angelegt…

“Die Brüder Karamasow” von Fjodor M. Dostojewskij, Fassung von Nicolas Stemann, Regie: Nicolas Stemann, Bühne: Katrin Nottrodt, Kostüme: Aino Laberenz. Mit Martin Schwab, Sebastian Rudolph, Joachim Meyerhoff, Philipp Hochmair, Hans Dieter Knebel, Thomas Lawinky, Rudolf Melichar, Sachiko Hara, Myriam Schröder, Mareike Sedl, Adina Vetter u.a., Akademietheater, Nächste Vorstellungen: 28.12., 2., 5., 7.1., 18 Uhr, Karten: 01 / 513 1 513; http://www.burgtheater.at

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