Botschafter-Affäre erschüttert Außenministerium: Handy des EU-Vertreters offenbar ausspioniert

Nach der überraschenden Abberufung des Ständigen Vertreters Österreichs bei der EU, Thomas Oberreiter, prüft das Außenministerium nun schwerwiegende Sicherheitsvorwürfe. Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (Neos) bestätigte am Dienstag die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission. Geleitet wird diese vom ehemaligen Verteidigungsminister Thomas Starlinger, der die Ministerin in Sicherheitsfragen berät.
Dem "Standard" liegen Informationen vor, wonach das Diensthandy des Diplomaten ausgespäht wurde. Dabei gelangten offenbar auch interne Chats und sensible Daten in Umlauf. Fotos, Chatverläufe mit Regierungsmitgliedern und Details zu Personalentscheidungen sollen unbefugt weitergegeben worden sein. Die Vorwürfe werfen Fragen zur IT-Sicherheit im Außenministerium auf.
Ministerium zeigt sich alarmiert
Laut Ministerin Meinl-Reisinger sei im Fall Oberreiter „rasch und konsequent gehandelt“ worden. Der Botschafter sei nicht mehr im Dienst, die Vertretung in Brüssel werde interimistisch geführt. In einer Aussendung betonte sie: „Das Außenministerium ist die Visitenkarte der Republik Österreich. Es muss über jeden Verdacht erhaben sein.“
Die Existenz des anonym geführten Blogs, der mit dem Diplomaten in Verbindung gebracht wird, wurde von der Plattform "Fass ohne Boden" publik gemacht. Der Blog enthält unter anderem sexistische Inhalte, die dem Botschafter zugeschrieben werden. Pikant: Der Blog wurde demnach bereits vor einem Jahr über die Whistleblower-Plattform des Beamtenministeriums gemeldet – ohne erkennbare Konsequenzen.
Regierungskreise in Aufruhr
Interne Stimmen berichten, dass Meinl-Reisinger erst kürzlich – nach ihrer Rückkehr aus Washington – über den Fall informiert wurde. Sie sei über das Ausmaß der Vorgänge „entsetzt“ gewesen. Der Diplomaten-Skandal sorgt auch im Kanzleramt für Nervosität. Die europäische Koordination liegt dort im Zuständigkeitsbereich von Ministerin Claudia Plakolm (ÖVP).
Laut Außenministerium handle es sich um eine „private Angelegenheit“, doch die Dimension des Falls spricht eine andere Sprache. Zahlreiche europäische Medien – darunter "Politico" – berichteten über die Abberufung. Die Enthüllungen könnten der internationalen Reputation Österreichs schaden.
Brisante Inhalte
Dem "Standard" vorliegende Unterlagen zeigen unter anderem, dass Oberreiter organisatorische Informationen, Gespräche mit Regierungsmitgliedern sowie private Fotos über sein Mobilgerät verwaltete. In Chatverläufen wird auch über Postenvergaben in Ministerkabinetten gesprochen.
Ein Beispiel: Die damalige Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) bot dem Botschafter 2020 den Posten als Bürochef an. Dieser lehnte jedoch ab. „Sorry. Aber trotzdem ganz großes Danke! T“, schrieb er laut übermittelten SMS. Mayer bestätigte den Kontakt, konnte sich an die Nachricht im Detail nicht erinnern.
Verdacht auf Ausspähung
Ein weiterer kritischer Aspekt betrifft einen möglichen Zusammenhang mit einem Cyberangriff auf das Außenministerium im Jahr 2020. Die E-Mail-Adresse, die zur Führung des Blogs genutzt wurde, findet sich in einer Datenbank gehackter Adressen. Ob ein direkter Zusammenhang besteht, ist bislang nicht nachgewiesen. Spekulationen über eine Beteiligung russischer Geheimdienste sind bislang nicht ausgeräumt.
Neben digitalen Spuren kursieren auch sensible Fotos und Daten, deren Herkunft derzeit ungeklärt ist. Sie könnten auf einen umfassenderen Spionagevorfall hindeuten. Sicherheitsbehörden und der Verfassungsschutz sind in die Ermittlungen eingebunden.
(VOL.AT)