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Boris Pahor: Autor und Zeitzeuge des "kulturellen Genozids"

Boris Pahor ist 96 Jahre alt. Als Angehöriger der slowenischen Minderheit in Triest erlebte er die Unterdrückung seiner Kultur und Sprache durch den italienischen Faschismus, überlebte vier nationalsozialistische Konzentrationslager und durchlebte all diese Erfahrungen in seinen vielbeachteten Romanen und Novellen.

Am Montag Nachmittag erhält Pahor das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Im Gespräch mit der APA erzählt der hochaktive Schriftsteller, wie die deutsche Sprache ihm das Leben rettete, spricht vom Schreiben nach dem KZ und mahnt Österreich, “Kärnten nicht unterwürfig” zu sein.

APA: Sie wurden 1913 als österreichischer Staatsbürger geboren. Jetzt erhalten Sie hier eine hohe Auszeichnung. Wie hat sich ihr Verhältnis zu Österreich entwickelt?

Boris Pahor: In der Monarchie gab es keine besondere Sympathie für das Slawische. Hätte man den Slawen das zugestanden, was man den Ungarn zugestanden hat, dann wäre sie nicht zerfallen. Aber so wurden wir Slowenen in Triest zu Italienern und was es in der österreichischen Monarchie noch gab – das Recht auf Sprache – das wurde von Italien zerschlagen und in die Illegalität verdrängt. Das habe ich Österreich immer sehr vorgeworfen und war auch der deutschen Sprache gegenüber kritisch eingestellt. Im Gymnasium habe ich Deutsch nie so brav gelernt wie ich sollte, immer hatte ich im September eine Nachprüfung. Aber immerhin war ich gut genug, dass ich später im KZ als Dolmetscher arbeiten konnte. So hat mir schließlich die Deutsche Sprache das Leben gerettet. Ab 1945 habe ich es nie mehr gesprochen.

APA: Nun wurden fünf ihrer Romane frisch ins Deutsche übersetzt…

Pahor: Das ist eine große Genugtuung für mich. Deutsch ist immer noch die “lingua franca” für Mittel- und Zentraleuropa. Über diese Übersetzungen wird ein großer Teil der Geschichte des Friaul einem breiten Publikum bekanntgemacht – eine Geschichte, die bisher kaum wahrgenommen wird. Auch das italienische Publikum weiß nicht, was für Gräuel hier im Faschismus geschehen sind. Als ich als Mitglied einer ethnischen Minderheit ins KZ deportiert wurde, war ich bereits Zeuge des kulturellen Genozids. In Italien wird diese dunkle Vergangenheit gerne zur Seite gedrängt.

APA: Gestern haben in Österreich Präsidentschaftswahlen stattgefunden, mit einer Kandidatin, deren Aussagen zur Vergangenheit und zum Holocaust für öffentliche Empörung gesorgt haben.

Pahor: Man kann nur sehr bedauern, dass es überhaupt möglich ist, diese Seite des Holocaust leugnen zu wollen. Dass es einen Zuspruch unter den Wählern dafür gibt, ist ein großes Unglück für Österreich. Das bedeutet, dass das Land sein Verhältnis zur NS-Zeit nicht geklärt hat. 1938 herrschte eine Jubelstimmung und es hat den Anschein, dass auch heute Teile der Bevölkerung gefallen an diesen Ideologien finden. Österreich versucht immer wieder, seine eigene Begeisterung für das NS-Regime unter den Tisch zu kehren. Aber Gott sei Dank geht die Mehrheit einen vernünftigen Weg.

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