Bonin zu Fachkräftemangel: "Ohne Migration geht es nicht"

"Wir werden nicht ohne Migration über die Runden kommen, aber wir werden auch nicht ausschließlich mit Migration über die Runden kommen", so der deutsche Ökonom.
Man stehe bei der Anwerbung von internationalen Fachkräften im Wettbewerb mit anderen Ländern. Zumindest in der Verwaltung in Deutschland herrsche hier aber noch oft eine Abwehrhaltung vor, so Bonin, der mit 1. Juli neuer IHS-Chef wird.
Debatte um Langzeitarbeitslose
Mit Bezug auf die Debatte um Langzeitarbeitslose, sei es nicht so, dass die große Mehrheit der Betroffenen nicht arbeiten will. "Die kann nicht arbeiten", so der Wirtschaftswissenschafter. Es lägen sehr oft Drogen- oder Schuldenprobleme vor, aber auch fehlende Qualifizierung und Alter gehörten zu den vorliegenden Gründen für die Arbeitslosigkeit. Neben Prävention müsse hier versucht werden, diese Menschen mit Beschäftigungsprogrammen abseits des ersten Arbeitsmarktes zu aktivieren.
Vergleichbare Wortmeldungen darf man wohl auch in der Zukunft erwarten, wenn der Ökonom mit den Forschungsschwerpunkten Arbeitsmarkt und Sozialpolitik IHS-Chef ist. "Ich werde nicht nur reden, wenn ich gefragt werde. Ich werde auch aktiv meine Stimme erheben, wenn ich glaube, etwas zu sagen zu haben", sagte Bonin, mahnte aber davor, immer eindeutige Antworten zu erwarten. Die empirische Evidenz bestünde immer nur aus Puzzle-Stücken, die dann vielleicht ein Gesamtbild ergeben. Dieses sei typischerweise widersprüchlich.
Fachkräftemangel: "Ohne Migration geht es nicht"
Angeblichen Gerüchten in sozialen Medien, dass er ein Parteibuch habe, trat Bonin entgegen. Auch wenn er als Bürger politische Meinungen haben, würde er diese bei seiner Arbeit hintenan stellten. "Der Markt regelt nicht alles, aber der Staat auch nicht", fasste er seine Grundposition zusammen. Er verfolge einen empirischen Ansatz. Er habe aufgrund seiner Herkunft aber ein großes Interesse für die Themen Ungleichheit und Bildung. "Ich bin ein Arbeiterkind, ich bin der Erste in der Familie, der studiert hat." Bonin wurde 1968 im nordrhein-westfälischen Wermelskirchen, in der Nähe von Köln, geboren.
Aktuell ist Holger Bonin noch Forschungsdirektor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn und lehrt als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Kassel. Ob er nach seinem Wechsel nach Wien weiter an der Universität lehren werde, sei derzeit noch unklar, meinte er auf Nachfrage hin. Auch eine mögliche Tätigkeit an der Universität Wien werde geprüft.
Mit der Politik habe er gemischte Erfahrungen gemacht, antwortete Bonin auf die Frage, ob die Politik genug auf die Wissenschaft höre. Es sei naiv zu glauben, dass Politikerinnen und Politiker eins zu eins auf die Wissenschaft hört. Politikberater wie er, müssten die Optionen aufzeigen. Der Volkswirt hat in Deutschland bereits in unterschiedlichen Positionen die dortige Bundesregierung beraten.
Bonin: Politik in Österreich sei stärker polarisiert
Sein erster Eindruck wäre, dass die Politik in Österreich stärker polarisiert sei, als in Deutschland. Bonin betonte aber, dass er noch kein "Österreich-Insider" sei und froh ist, noch bis 1. Juli Zeit zum Einarbeiten zu haben. In seiner dann beginnenden Rolle als IHS-Chef solle man sich keine Revolution beim Institut erwarten, sondern eher eine Evolution. Er wolle aber mehr Querschnittsthemen etablieren mit einer großen gesellschaftlichen Relevanz. Dazu gehörten die Dekarbonisierung, die Digitalisierung, die Demografie und die Polarisierung.
Das IHS war seit Jänner 2021, als Martin Kocher Wirtschaftsminister für die ÖVP wurde, ohne fixen Chef dagestanden. Ausgeschrieben hatte das IHS den Chefposten erstmals Mitte Februar 2021. Als nach Lars Feld auch Guntram Wolff absagte, entschied sich das IHS-Kuratorium 2022 für eine Neuausschreibung. Interimistisch führt Klaus Neusser das Institut. 130 Kandidatinnen und Kandidaten seien kontaktiert worden, erklärte am Dienstag IHS-Präsident Frank Fischler. Mehr als 50 hätten ihr Interesse bekundet, wovon etwa 25 die Voraussetzungen erfüllt hätten. Schlussendlich seien dem Kuratorium drei Kandidaten zum Beschluss vorgelegt worden, unten denen das Gremium Holger Bonin auswählte.
Bonin schloss 1995 als Diplom-Volkswirt sein Studium an der Universität Kiel ab. 2001 promovierte er in Freiburg bei seinem Doktorvater Bernd Raffelhüschen zur "Theorie und Praxis der Generationenbilanzierung". Zwischen 2000 und 2007 war Bonin dann bereits einmal in verschiedenen Positionen für das IZA tätig. Nach einem kurzweiligen Wechsel zum Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin forschte der designierte IHS-Chef dann von 2007 bis 2016 beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Seit 2012 ist er zudem Professor an der Uni Kassel.
(APA/Red)