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Bin Laden wie vom Erdboden verschluckt

Es war tiefe Nacht in Belutschistan im Südwesten Pakistans. US-Spionagesatelliten hatten die Gruppe Flüchtiger ausgemacht, die sich nur im Schutz der Dunkelheit bewegte.

Das US-Militär hatte schon grünes Licht zum Abschuss einer Hellfire-Rakete – da bliesen CIA-Agenten, die die Flüchtlinge gestoppt hatten, die Aktion ab: Wieder nichts, Osama bin Laden war nicht dabei. Seit fast zwei Jahren schlüpft der meistgesuchte Terrorist der Welt durch alle Fahndungslöcher. Der Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September, den US-Präsident George W. Bush den Amerikanern „tot oder lebendig“ versprochen hatte, bleibt wie vom Erdboden verschluckt.

Der Einsatz in der Provinz Belutschistan im März, den die US- Zeitschrift „New Yorker“ gerade schilderte, war nur einer in einer langen Serie bisher vergeblicher und für die US-Agenten frustrierender Einsätze. Darüber können auch andere spektakuläre Fahndungserfolge der vergangenen 20 Monate nicht hinwegtäuschen. Zwar gingen mit Khalid Sheikh Mohammed, der Nummer 3 des Netzwerks, mit Militärchef Abu Subaida und Ramsi Mohammed Binalshibh, dem mutmaßlichen Bankier der Hamburger Terrorzelle, inzwischen einige der wichtigsten Köpfe des El Kaida-Netzwerks ins Netz, aber eben noch nicht der Boss.

Der gestürzte irakische Machthaber Saddam Hussein hat Osama bin Laden als meist gesuchter „Evildoer“ – Bösewicht, wie Bush die Männer nennt – aus den Schlagzeilen verdrängt. „Bin Laden ist weiter auf der Prioritätenliste“, versichert aber Michael Ledeen, Terrorexperte beim amerikanischen Institut Brookings.

Die Fahnder gehen davon aus, dass Bin Laden noch lebt, irgendwo im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan. Ihn dort zu packen, hat sich aber als praktisch aussichtslos erwiesen. Die afghanische Regierung hat über Kabul hinaus kaum Kontrolle über das Land. Wie die jüngste Welle der Gewalt zeigt, dürften sich die vertriebenen Taliban und El Kaida-Aktivisten neu formiert haben. Unter ihnen wäre Bin Laden sicher. Seine Anhänger gelten als hundertprozentig loyal. Selbst das in Aussicht gestellte Kopfgeld von 25 Millionen Dollar hat bisher keinen zum Verrat getrieben.

Auch auf der pakistanischen Seite der Grenze könnte sich der aus Saudiarabien stammende Milliardär wahrscheinlich unbehelligt aufhalten. Dort haben Stammesfürsten das Sagen, die als El Kaida-Sympathisanten gelten. Wie sehr die pakistanische Regierung ihnen auf die Pelle rückt, ist umstritten. Bin Laden sei für den pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf auch eine Art Pfand, die ihm fortgesetzte finanzielle Hilfe aus den USA garantiert, schrieb Jane Mayer im „New Yorker“ nach zahlreichen Interviews im Pakistan.

Zuletzt gesehen wurde der El Kaida-Chef im Dezember 2001 auf einem Videoband, auf dem er die Terroranschläge verherrlichte. Seitdem sind in den arabischen Ländern immer mal wieder Kassetten mit Botschaften von Bin Laden aufgetaucht.

Unbekannt ist, wie aktiv Bin Laden aus seinem Versteck heraus überhaupt noch ist. Die US-Zeitschrift „Newsweek“ will von ungenannten Taliban-Verbündeten des Terrorchefs kürzlich erfahren haben, Bin Laden habe kurz nach dem US-Einmarsch im Irak einen „Terrorgipfel“ veranstaltet und von dort aus einen Vertrauten als Einsatzleiter für Angriffe in den Irak beordert. Im „New Yorker“ meinte der Koordinator für Terrorabwehr im Außenministerium, Cofer Black, dagegen: „Der Typ ist weg vom Fenster. Die Frage ist nur noch, ob er in Handschellen kommt oder getötet wird.“

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