AA

Beslan: Lebenslänglich für Geiselnehmer

Ein russisches Gericht hat den vermutlich einzig überlebenden Geiselnehmer von Beslan am Freitag zu lebenslanger Haft verurteilt. Außer Kulajew hat kein Geiselnehmer überlebt.

Die Todesstrafe blieb dem tschetschenischen Zimmermann Nurpaschi Kulajew nach Angaben des Gerichts nur deshalb erspart, weil ihr Vollzug in Russland seit 1996 verboten ist. Die Staatsanwaltschaft hatte diese gefordert, der Angeklagte dagegen auf unschuldig plädiert. Das Obersten Gerichtshof von Nordossetien in Wladikawkas befand ihn in allen Anklagepunkten – darunter auch Terrorismus und Mord – für schuldig.

Der 1980 geborene Tschetschene war am ersten Schultag Anfang September 2004 als einer von rund 30 Extremisten an der Besetzung einer Schule in Beslan beteiligt, bei der 1300 Menschen als Geiseln genommen wurden. Während des mehrtägigen Dramas und der Befreiungsaktion starben 331 Menschen, die Hälfte davon Kinder. Nach offiziellen russischen Angaben hat außer Kulajew kein Geiselnehmer überlebt.

Im Gerichtssaal kam es zu Tumulten. Angehörige der Opfer versuchten Kulajew bei der Urteilsverkündung anzugreifen, wurden aber von Gerichtswachen daran gehindert. Die Ankläger sagten russischen Nachrichtenagenturen, sie seien mit der Entscheidung zufrieden. Kulajew beteuerte unterdessen seine Unschuld. „Das sind alles erfundene Geschichten“, zitierte ihn Interfax. Über Itar-Tass kündigte sein Anwalt eine Berufung an: „Während der Gerichtsanhörung wurde kein Beweis für Kulajews Beteiligung an den Verbrechen vorgelegt, die ihm angelastet wurden.“

Richter Agusarow wies die Unschuldsbekundungen Kulajews zurück. „Er verdient die Todesstrafe, aber weil die russische Regierung deren Vollstreckung ausgesetzt hat, verurteile ich ihn zu lebenslanger Haft“, sagte er. Kulajews Behauptung, er sei von anderen Tschetschenen zur Beteiligung gezwungen worden, erkannte der Richter nicht an. Die Zeugenaussagen widersprächen der Darstellung, er habe niemals Geiseln bedroht oder ihnen Schaden zugefügt.

Kulajew hat zugegeben, an dem Überfall auf die Schule von Beslan teilgenommen zu haben, aber den Vorwurf zurückgewiesen, selbst jemanden getötet zu haben. Das Gericht befand Kulajew schuldig, eine Bombe gezündet und sich an der Erschießung von 16 Geiseln beteiligt zu haben. Er soll auch Kinder und andere Geiseln erschossen haben, die am dritten Tag zu fliehen versucht hatten. Er trage auch eine Verantwortung für den Tod der vielen Menschen und des Sachschadens in Höhe von 34 Millionen Rubel (eine Millione Euro). „Kulajew verdient die Todesstrafe, aber er wird wegen des Moratoriums zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt“, sagte Richter Agusarow.

Die Verurteilung dürfte die auch im Gerichtssaal aufgebrachten Angehörigen der Opfer kaum besänftigen. „Und so einer atmet noch die gleiche Luft ein wie wir!“, empörte sich die Ex-Geisel Anita Dagijewa über das ihrer Ansicht nach zu milde Urteil. „Ich dachte, das Urteil würde verlesen und Kulajew würde eine Art letztes Wort aussprechen. Aber er hat gar nichts gesagt“, beklagte eine Vertreterin der Gruppe „Mütter von Beslan“ vor dem Gerichtsgebäude. „Ich habe die Todesstrafe erwartet und es ist nicht gerecht, dass er zu lebenslanger Haft verurteilt wurde“, sagte Rita Sidakowa. „Er ist schuld am Tod hunderter Menschen, er lebt aber weiter, und meine Tochter ist tot.“

Dem entgegnete Ella Kessajewa von der rivalisierenden Organisation Stimmen von Beslan, Kulajew sei als Zeuge viel zu wertvoll. Dass er weiter lebe, „gibt uns die Hoffnung, dass alle Umstände des Terroraktes aufgeklärt werden. Wir hoffen, die Wahrheit über Beslan zu erfahren“, sagte Kessajewa.

Viele Überlebende werfen den Behörden vor, Kulajew sei der Sündenbock, um von eigenem Versagen abzulenken. Bei der Erstürmung war es Augenzeugen zufolge zu schweren Pannen gekommen, die die rasche medizinische Versorgung von Verletzten verhinderten. Zudem habe die Feuerwehr nicht genug Löschwasser gehabt und es seien schwere Waffen eingesetzt worden, obwohl das Schicksal zahlreicher Geiseln ungeklärt gewesen sei. Auch eine offizielle Untersuchung stellte fest, dass Versäumnisse und Inkompetenz der Behörden zum Ausmaß der Tragödie beigetragen hätten, ohne allerdings Verantwortliche beim Namen zu nennen.

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • Beslan: Lebenslänglich für Geiselnehmer
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen