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Berlin setzt auf Neuanfang mit Polen

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Die erste Reaktion von Angela Merkel war - bei aller diplomatischer Zurückhaltung - voller Hoffnung. Deutschland habe ein "enormes Interesse" an engen und guten Beziehungen zum Nachbarn Polen, ließ sie Vize-Regierungssprecher Thomas Steg am Montag erklären.

Man setze auf eine rasche Regierungsbildung. Die deutsche Kanzlerin will den künftigen Regierungschef Donald Tusk „sehr schnell“ treffen.

Merkel und der liberal-konservative Tusk von der Bürgerplattform kennen sich aus der Zusammenarbeit in der Europäischen Volkspartei. Die gemäßigte Bauernpartei PSL, mit der Tusk koalieren will, ist ebenfalls EVP-Mitglied. „Das persönliche Verhältnis zwischen Merkel und Tusk ist gut“, heißt es aus der Umgebung der Kanzlerin. Frühere Kritik in Kreisen der deutschen Parteien, Tusk reagiere zu zurückhaltend auf die Kritik an seiner deutschland-freundlichen Einstellung, waren in den letzten Wochen des Wahlkampfs verstummt.

„Die Verständigungsbereitschaft auf beiden Seiten wird jetzt größer sein“, sagt auch EVP-Präsidiumsmitglied Peter Hintze. „Die Polen werden wieder europäischer“, ist verbreitete Ansicht in Berlin. Warschau hatte sich zuletzt auf den EU-Gipfeln zur Verfassungsreform in der Europäischen Union mit zum Teil brachialen Mitteln einen Ruf als Dauer-Blockierer erworben. „Das wird hoffentlich zur Vergangenheit gehören“, sagt der SPD-Europapolitiker Axel Schäfer. Auch könnten nun die wegen Sprachlosigkeit zwischen Moskau und Warschau blockierten EU-Russland-Verhandlungen über eine Erneuerung der Zusammenarbeit in Gang kommen.

In der Sache macht sich in Berlin aber niemand Illusionen. Bei den zentralen Streitthemen zwischen Deutschland und Polen aus der Regierungszeit des nationalistisch-populistischen Jaroslaw Kaczynski wird es auch mit einer Regierung Tusk kaum einfacher werden. Die Ostsee-Pipeline zwischen Russland und Deutschland unter Umgehung Polens wird für das Nachbarland ein Dorn im Auge bleiben. Und das „Zentrum gegen Vertreibungen“ des Bundes der Vertriebenen, der am Montag sein 50-jähriges Bestehen feierte, wird in Polen künftig nicht weniger attackiert werden.

„Es wird aber eine andere Tonalität geben im Umgang miteinander“, sind sich Polen-Experten im Berliner Regierungslager sicher. Irritationen wie beim deutsch-polnischen Satire-Streit, als sich Staatschef Lech Kaczynski über einen „Kartoffel“-Vergleich in der deutschen Presse mokierte und Merkel auf polnischen Magazin-Titelseiten mit den Kaczynski-Zwillingen an der nackten Brust karikiert wurde, gehören jetzt vielleicht der Vergangenheit an.

Eine erste Probe aufs Exempel für die neuen Umgangsformen wird es schon bald geben. Erst vor wenigen Tagen im Kanzleramt sagte Merkel dem polnischen Staatschef ein Treffen bald nach der Wahl zur Klärung bilateraler Streitfragen zu. Das Staatsoberhaupt in Polen hat traditionell großen Einfluss auf die Außen- und Sicherheitspolitik, kann aber von klaren Mehrheiten im Parlament überstimmt werden.

Axel Schäfer von der SPD sieht das positiv. Der als Präsident weiter amtierende Kaczynski-Zwilling Lech, der 2005 für fünf Jahre gewählt wurde, könne nach der Abwahl seines Bruders ja noch dazulernen: „Der wird auch noch weg von seiner dogmatischen Haltung kommen.“

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