Das rund zweiminütige Video mit dem Titel “Erdowie, Erdowo, Erdogan” erregt seit Tagen die Gemüter in Ankara. In dem Clip werden dem türkischen Staatschef neben der Einschränkung der Pressefreiheit auch die Niederschlagung des Kurdenaufstands und ein hartes Vorgehen gegen Frauen vorgeworfen. Bis Mittwochnachmittag wurde das Video auf YouTube mehr als 2,8 Millionen Mal angeklickt. Mittlerweile ist es dort auch mit türkischen Untertiteln zu sehen.
Aus Empörung über den Beitrag bestellte die türkische Regierung den deutschen Botschafter Martin Erdmann ein. Die deutsche Regierung habe dabei ihre Haltung zur Presse- und Meinungsfreiheit “auf diplomatischem Wege” deutlich gemacht, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz. “Sendungen wie die beanstandete gehören für Deutschland selbstverständlich zur deutschen Medienlandschaft dazu.”
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier forderte die Türkei auf, sich an europäische Grundwerte zu halten. “Ich finde, dass wir von einem Partnerland der Europäischen Union erwarten können (…), dass es unsere gemeinsamen europäischen Werte teilt”, sagte Steinmeier am Mittwoch bei einem Besuch in Usbekistan. Zugleich wehrte sich der SPD-Politiker gegen den Vorwurf, die deutsche Bundesregierung habe aus Rücksicht auf die Zusammenarbeit mit der Türkei in der Flüchtlingskrise zu lange geschwiegen.
Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warf der Regierung in Ankara eine Verletzung der Presse- und Meinungsfreiheit vor. “Präsident Juncker hat kein Verständnis dafür, wenn der deutsche Botschafter nur wegen eines satirischen Songs einbestellt wird”, sagte eine Sprecherin am Mittwoch in Brüssel. Der Kommissionschef sei der Überzeugung, dass dies die Türkei weiter von der EU entferne. Der Schritt scheine mit der Wahrung der Presse- und Meinungsfreiheit nicht in Einklang zu stehen.
Das Video wurde bereits in der “extra 3”-Sendung am 17. März und später dann in der ARD ausgestrahlt. Erdmann wurde vor einer Woche einbestellt, am Dienstag dann ein weiteres Mal. Wirtz sagte nun, die deutsche Regierung sehe “derzeit keinen weiteren Gesprächsbedarf”. Befragt wurde sie danach, ob etwa die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ein direktes Gespräch mit Erdogan für notwendig halte.
Kritik hatte es an der deutschen Regierung auch wegen des tagelangen Schweigens zu dem Vorfall gegeben. Die deutsche Grünen-Politikerin Tabea Rößner erklärte, bei einem so “starken diplomatischen Mittel wie der Einbestellung” habe die Regierung “viel zu lange geschwiegen”.
Der deutsche CDU-Außenexperte Norbert Röttgen sagte dazu am Mittwoch im ZDF, er sei sich sicher, dass die Regierung “die zweifelsfreie Geltung” von Grundrechten in Deutschland “auf ihren Wegen und ihren Kanälen” zum Ausdruck gebracht habe. Zugleich sagte er mit Blick auf die Zusammenarbeit der EU mit Ankara in der Flüchtlingsfrage, das Verhalten der Türkei im Satire-Streit entspreche zwar nicht diplomatischen Gepflogenheiten. Es spreche aber “nicht gegen die Kooperation mit der Türkei”.
Erdogan hatte in der vergangenen Woche auch wütend auf die Anwesenheit Erdmanns und anderer europäischer Diplomaten, darunter der österreichischen Generalkonsolin in Istanbul, bei dem umstrittenen Prozess gegen den “Cumhuriyet”-Chefredakteur Can Dündar und seinen Kollegen Erdem Gül reagiert. “Dies ist nicht ihr Land, dies ist die Türkei”, empörte er sich. Die türkische Staatsanwaltschaft erwirkte daraufhin für den weiteren Prozess einen Ausschluss der Öffentlichkeit.
Ein EU-Sprecher verteidigte nun die Anwesenheit europäischer Diplomaten bei dem Prozess. Dies täten die Vertreter regelmäßig in ihrer Funktion als Beobachter, “vor allem auch in Ländern, die Beitrittskandidaten sind”, hieß es in einer Erklärung. “Freie, unterschiedliche und unabhängige Medien gehören zu den Eckpfeilern einer demokratischen Gesellschaft”, erklärte er mit Blick auf den Prozess gegen die Journalisten.