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Belgrad: Europaskepsis der Serben groß

Vier Fünftel der serbischen Bevölkerung sind laut jüngsten Umfragen für einen möglichst raschen Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union.

Das erklärten der serbische Premierminister Vojislav Kostunica und sein Vize Miroljub Labus jüngst in Belgrad gegenüber einer österreichischen Wirtschaftsdelegation. Bis zur Bevölkerung scheint diese Euphorie aber noch nicht wirklich durchgedrungen zu sein. Im Gegenteil: Die Europaskepsis ist durchaus groß.

Vom Taxifahrer bis zum Sicherheitsbeamten, vom Kellner bis zum Fotografen – in Belgrad sind die Reaktionen auf die Frage, was man sich von Europa und der EU erwarte, sehr gemischt. Von Begeisterung ist keine Rede. „Vor ein paar Jahren hat man uns noch Bomben auf die Köpfe geworfen und jetzt sollen wir uns denen anschließen, die für das hier verantwortlich sind“, schimpft ein Taxifahrer mit Hinweis auf ein zerbombtes Verwaltungsgebäude im Stadtzentrum.

Man habe sich doch wehren müssen, als alle Welt auf Serbien eingeschlagen hätte, argumentiert ein junger Mann. Die NATO-Angriffe auf Serbien seien völlig überzogen und ungerechtfertigt gewesen, daher wolle er auch auf keinen Fall Mitglied der EU werden.

Die NATO ist auch fünf Jahre nach Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen für die meisten Belgrader ein Feindbild, das tief in Köpfen und Herzen verwurzelt scheint. Und nicht wenige Serben setzen die NATO mit der Europäischen Union gleich. Jeder Hinweis darauf, dass es nicht die EU gewesen sei, die Krieg geführt hätte, wird zur Seite gewischt: „Was macht das für einen Unterschied?“

Selbstkritik, die Einsicht, dass auch die serbische Politik der neunziger Jahre mit verantwortlich sein könnte für die damalige Isolation des Landes und den Krieg, wird nur vereinzelt geäußert. Zumeist geschieht dies zwar durch die Feststellung allgemeiner moralischer Thesen wie „Wer jemanden tötet, ist im Unrecht“, um nur ja nicht zugeben zu müssen, dass man vielleicht selbst im Unrecht gewesen sei.

Von allen Gesprächspartnern konnte sich nur ein einziger gegenüber der APA dazu durchringen, die Politik von Slobodan Milosevic und die serbische Haltung gegenüber den Kosovo-Albanern als Ursache für die NATO-Bombardements zu benennen – allerdings auch nur unter vier Augen und nach dem Versprechen, seinen Namen nicht zu nennen.

Parallel zu dieser Haltung erhoffen sich die meisten aber doch zumindest eine Annäherung an die EU. „Wirtschaftlich haben wir ja sonst keine Chance,“ meint ein älterer Mann. Von Europa erhofft man sich, dass große Firmen ins Land kommen und Geld mitbringen. Viel Geld. Und das ist nicht nur die Hoffnung der jungen Arbeitslosen, sondern selbstredend auch der verantwortlichen Politiker.

So wird das zerbombte Gebäude des Generalstabs der Armee gleich gegenüber dem Regierungsgebäude weder abgerissen noch renoviert. „Das ist eine der ersten Adressen in Belgrad, das wird sicher ein Konzern kaufen“, so die Hoffnung. Und der könne dann auch gleich die Abrisskosten übernehmen.

Dass das Land selbst Anstrengungen unternehmen muss, um sich Europa anzunähern, diese Erkenntnis ist vielfach noch nicht wirklich ausgeprägt. Kein Wunder, wenn selbst der serbische Minister für Wirtschaftsbeziehungen, Predrag Bubalo, hochoffiziell einen raschen EU-Beitritt seines Landes fordert. Als Dankabstattung dafür, dass sich Serbien jahrhundertelang den Türken entgegengestemmt und damit Europa beschützt hätte. Auf der Straße klingt das dann so: „Ohne uns Serben würdet ihr Burnusse tragen und eure Frauen wären in Harems eingesperrt, zum Dank dafür muss ich mich vor eurer Botschaft um ein Visum anstellen.“

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