Beackerung heimischer Öko-Flächen zerstört Biodiversität

Österreich hat 9.000 Hektar an Öko-Brachflächen für die Agrarproduktion freigegeben, um etwa Getreide-Engpässen im Zuge des Ukraine-Krieges gegenzusteuern. Das Interesse der Bauern an den Flächen sei aber überschaubar, das Einackern der Brachen schädlich für Klima und Artenvielfalt - und der damit lukrierte Beitrag zur Versorgungssicherheit gering, lautete die Expertenkritik bei einer Pressekonferenz der NGO Global 2000, die von Landwirtschaftskammer (LK) relativiert wurde.
"Würde man auf den 9.000 Hektar Biodiversitätsflächen in Österreich sieben Tonnen Weizen pro Hektar gewinnen, dann ersetzt man damit gerade mal 0,1 Prozent der fehlenden Menge am Weltmarkt", rechnete Sebastian Lakner, Agrarökonom der Universität Rostock, vor. Man würde also globalen Lebensmittel-Engpässen kaum entgegenwirken, dafür aber "alle Umweltregeln aussetzen und die Zerstörung von Biodiversität vorantreiben". Europaweit ist es geplant, bis zu zwei Millionen Hektar Brachen landwirtschaftlich zu nutzen, "das sind aber die schlechtesten Standorte", so der Experte. "Etwa die Hälfte davon liegt in Spanien, das sind aber steppenartige Landschaften, die man nicht einfach so unter den Pflug nehmen kann".
Enormes Einsparungspotential bei Rohstoffverbrauch
Anstatt die Produktion mit allen Mitteln zu steigern, wie das auf EU-Ebene vor allem von den europäischen Volksparteien forciert würde, wäre es besser, auf die Verwendungsseite zu achten und dort gezielt einzusparen, sagte Lakner. "Wir mischen zum Beispiel immer noch Agrar-Rohstoffe, die im Moment knapp sind, als Biokraftstoffe bei. Wichtiger wäre es aber Akzente zu setzen, um den Spritverbrauch zu senken" - allein in Deutschland könnten damit einige Millionen Tonnen Rohstoffen eingespart werden, sagte der Experte. In Österreich würden aktuell 31 Prozent des produzierten Getreides energetisch verwendet - aber lediglich 17 Prozent als direktes Nahrungsmittel genutzt. "Wir übernutzen unsere Rohstoffe", so der Experte. Bevor man Brachen beackert, sollte man zuerst diese Einspar-Potenziale prüfen, empfahl Lakner.
Ökologe: Beackerung zerstört Biodiversität
Die wichtige Funktion von Öko-Brachen in den Ackerbauregionen betonte auch der Ökologe Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung: "Viele Kulturgüter sind von Bestäubung durch Insekten abhängig, darunter auch Weizen". Würden die Brachen verschwinden, hätten einige Tierarten keine Möglichkeit mehr zu wandern und die Bestäubung für Obstbestände wäre gefährdet. Außerdem wäre ihre Funktion die Schadwirkung von anderen Insekten, die der Ernte schaden könnten, zu mindern, meinte der Experte.
Kritik für Landwirtschaftskammer "übertrieben und faktenbefreit"
"Vollkommen übertrieben und faktenbefreit", lautete indes die Replik von Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger, der in diesen Argumentationen "Horrorszenarien" ortete: "Weiterhin wird es überall in Österreich umfangreiche Flächen zur gezielten Förderung von Biodiversität geben", hieß es in seinem Statement. Den 9.000 Hektar, die nur vorrübergehend und nicht zur Gänze genutzt würden, stellte er "700.000 Hektar und somit über ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche" gegenüber, die biologisch bewirtschaftet werde.
Auf rund sieben Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen - die Gesamtfläche lag im Jahr 2020 laut Statistik Austria bei 2,66 Millionen Hektar - werden laut LK gezielte biodiversitätsfördernde Maßnahmen gesetzt, "dieser Prozentsatz wird im Rahmen der neuen Agrarpolitik ab 2023 durch zusätzliche Anreize sogar noch auf ca. zehn Prozent steigen", wurde vorgerechnet. Im Rahmen der GAP seien rund 8.000 Hektar flächige Landschaftselemente für die biologische Vielfalt bewirtschaftet worden, weitere 70.000 Hektar Biodiversitätsflächen gebe es im Rahmen der Agrarumweltprogramm (ÖPUL)-Maßnahme "umweltgerechte und biodiversitätsfördernde Bewirtschaftung". Die österreichischen Bäuerinnen und Bauern pflegen 76.000 Hektar Naturschutzflächen, welche in Abstimmung zwischen Naturschutz und Landwirt auf Basis individuell vereinbarter Bewirtschaftungsauflagen schonend genützt werden.
Umackern keine Lösung für Ernteausfälle durch Ukraine-Krieg
Das "Umackern der letzten Biodiversitätsflächen ist keine Lösung für die Ernteausfälle des Ukrainekrieges", meinte indes Brigitte Reisenberger, Landwirtschaftssprecherin von Global 2000. Aus ihrer Sicht brauche es eine Aufstockung des Katastrophenfonds und der Gelder für das UN World Food Programme. "Die Beiträge Österreichs waren denkbar gering. 2021 wurden lediglich 18 Millionen Dollar bereitgestellt. Im Vergleich: Dänemark hat 56 Millionen, die Schweiz 112 und Norwegen gar 163 Millionen Dollar investiert", sagte Reisenberger, die von der heimischen Politik auch eine rasche Umsetzung des Green Deals forderte. Es gelte aber auf jeden Fall rasch zu handeln, denn die aktuelle Krise in der Ukraine zeige, dass "unser Agrar- und Ernährungssystem viel fragiler ist als angenommen", sagte Reisenberger.
(APA/Red)