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Axtmord: "Ich wollte die Kinder erlösen"

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Ich wollte die Kinder erlösen“, flüsterte die 46-jährige Grazerin, die am 28. Juli 2005 ihre beiden schlafenden Söhne mit einem drei Kilogramm schweren Spaltbeil erschlagen hatte. Jetzt wurde sie in eine Anstalt eingewiesen. Video:

„ Die Frau musste sich bereits zum dritten Mal vor Geschworenen und dieses Mal in der Bundeshauptstadt verantworten, „nachdem es in Graz zwei Mal schief gelaufen ist“, wie der vorsitzende Richter Peter Liebetreu darlegte.

Zentraler Punkt des Verfahrens war die Frage, ob die Frau, die seit Jahren an schweren Depressionen gelitten hatte, zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig war. In einem psychiatrischen Gutachten war das von Anfang an verneint worden. Dennoch wurde die 46-Jährige im Vorjahr im ersten Rechtsgang als schuldfähig eingestuft und zu 15 Jahren Haft verurteilt. Der OGH hob das Urteil auf und ordnete eine Neudurchführung an. Als neue Geschworene im September 2006 wiederum die Schuldfähigkeit bejahten, wurde deren Wahrspruch ausgesetzt.

Urteil passte nicht

Vor dem dritten Anlauf wurde mit der Psychiaterin Sigrun Rossmanith eine neue, erfahrene Sachverständige beigezogen. Diese kommt in ihrem Gutachten zum selben Schluss wie ihr Vorgänger. Demnach handelte die Uhrmachermeisterin in Folge einer seelisch-geistigen Abartigkeit höheren Grades – einer schwere Depression mit psychotischen Symptomen – in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand.

Aus Basis dieses Gutachtens beantragte Staatsanwältin Astrid Schillinger daher die Unterbringung der 46-Jährigen in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher und nicht ihre Verurteilung wegen Mordes. Die Einweisung sei nötig, weil ansonsten befürchtet werden müsse, dass die Frau neuerlich Straftaten mit ähnlich gravierenden Folgen begehen könnte, erläuterte die Anklägerin.

Verteidigerin Sigrun Rossmanith bezeichnete in ihrem Gutachten die gegenständliche Tat als „Beziehungsdelikt mit Overkill-Charakter“. Rossmanith trat dafür ein, die Frau ohne Ausspruch einer Strafe in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen.

Wo sich Staats- und Rechtsanwalt einig sind, widerspricht kein Richter: Dem Antrag der Verteidigung wurde Folge geleistet.

Der Prozess

„Wie geht es Ihnen heute?“, fragte der Richter die zierliche, zerbrochen wirkende Frau, nachdem sie zwei Justizwachebeamte in den Großen Schwurgerichtssaal geführt hatten. „Nicht so gut“, erwiderte sie. „Ich kann Ihnen das Verfahren trotzdem nicht ersparen“, bemerkte darauf der Richter.

Die 46-Jährige hatte noch ihrem Ehemann das Frühstück zubereitet und sich mit einem Kuss von diesem verabschiedet, als er sich auf den Weg in das Uhrmacher-Geschäft machte, bevor sie aus dem Schuppen das Beil holte.

Am Abend davor hatte sie ihren Angaben zufolge den endgültigen Entschluss gefasst, ihre 14 und 17 Jahre alten Söhne zu „erlösen“. Sie habe diesen „die mörderische Zeit, den Leistungsdruck“ ersparen wollen.

Knapp nach 8.00 Uhr betrat sie zunächst das Zimmer des Jüngeren und tötete den in Bauchlage Schlafenden mit mindestens fünf Hieben auf den Kopf. Anschließend ging sie in den ersten Stock, betrat das Zimmer des 17-Jährigen, der ebenfalls noch schlief, und schlug ihrer Aussage nach wieder fünf Mal zu.

Nach Wien, um sich im Wald zu verstecken…

„Ich hab’ da nix empfunden“, gab sie nun kaum hörbar zu Protokoll. Ihre Kinder seien „das Wichtigste in meinem Leben“ gewesen. Nachdem sie zur Überzeugung gelangt war, dass diese tatsächlich tot waren, hatte sie im Badezimmer das Blut vom Beil gewaschen, dieses zurück in den Schuppen gestellt und sich einen schwarzen Hosenanzug angezogen. Dann fuhr sie mit der Bahn nach Wien, wo sie sich laut ihren Angaben „im Wald verstecken“ wollte.

In der Zwischenzeit hatte die im selben Haus wohnende Großmutter die Leichen ihrer geliebten Enkel entdeckt. Mittels einer Standortpeilung konnte über das Mobiltelefon der 46-Jährigen der Aufenthaltsort der abwesenden Mutter ermittelt werden. Polizisten fanden sie auf einer Parkbank vor dem Krapfenwaldbad am Stadtrand vor Wien. Als sie die Beamten sah, erhob sich die Frau mit den Worten:
„Ich weiß, was Sie von mir wollen.“ Nach der Festnahme gab sie an, sie habe „nicht das Gute, aber das Richtige getan“.

Der Prozess finde diesmal in Wien statt, „um zu vermeiden, dass es wieder ein Urteil gibt, das den Gutachten widerspricht“, führte Staatsanwältin Astrid Schillinger aus. Der Oberste Gerichtshof habe das entschieden, nachdem die 46-Jährige zwei Mal in Graz von Geschworenen wegen Mordes schuldig gesprochen worden war, obwohl der Gerichtspsychiater die Mutter für zurechnungsunfähig erklärt hatte.

Die Grazerin hatte auf Wunsch ihres Vaters, der mit Leib und Seele Uhrmacher war, denselben Beruf erlernt. In der Ausbildung lernte sie ihren späteren Ehemann kennen. 1987 wurde sie schwanger, worauf die beiden heirateten. 1991 kam der zweite Sohn zur Welt. Die vierköpfige Familie teilte sich mit den Großeltern ein schmuckes Einfamilienhaus, wobei sie den oberen Stock bewohnte.

Depressiv

2001 traten bei der Mutter erstmals depressive Verstimmungen auf:
Ihr Vater, zu dem sie eine besonders innige Beziehung hatte, erlitt einen Schlaganfall, konnte nicht mehr sprechen, wurde zu einem Pflegefall. Als sie 2004 ins Spital musste, um sich an der Schulter operieren zu lassen, starb er, ohne dass sie sich noch von ihm verabschieden konnte. Das nahm die Frau derart mit, dass sie zwei Monate mit psychischen Problemen stationär behandelt werden musste.

In weiterer Folge verschlechterte sich ihr Befinden immer mehr, „zunächst schleichend und unbemerkt von der Familie“, wie die Staatsanwältin berichtete. Im Mai 2005 reiste die Grazerin etwa mit der Bahn nach Wien, trieb sich bis in die Nachtstunden auf dem Zentralfriedhof herum, ehe sie völlig verschmutzt und desorientiert von der Polizei aufgegriffen wurde. Sie wurde danach vier Wochen in einer geschlossenen Abteilung auch medikamentös gegen ihre Depressionen behandelt.

“Zu nichts gut”

Am 3. Juni entließen sie die Ärzte gegen Revers. Daheim war die Frau aber nicht mehr in der Lage, ihre Mutterrolle zu erfüllen. „Sie hatte das Gefühl, zu nichts gut, zu nichts zu gebrauchen zu sein“, meinte die Anklagevertreterin. Dass sich ihre pubertierenden Söhne von ihr abkapselten, hätte die Mutter nicht als altersbedingte Selbstverständlichkeit, sondern als weitere persönliche Niederlage erlebt.

Speziell die Kinder dürften die schwierige familiäre Situation – der Ehemann kam mit der Erkrankung der Frau überhaupt nicht zurecht – als belastend empfunden haben.

Der Jüngere zog schließlich zur Oma in den unteren Stock, der 17-Jährige äußerte eines Tages in der Schule Selbstmordgedanken, wovon der besorgte Klassenvorstand die Eltern unterrichtete.

Die Kinder vom Leben erlösen…

„Das war Wasser auf ihre Mühlen“, meinte die Staatsanwältin mit Blick auf die 46-jährige Steirerin. Und weiter: „Sie hatte das Gefühl, dass die Kinder scheitern werden, so wie sie gescheitert ist. Sie hat einen richtigen Wahn entwickelt, ihre Kinder von diesem Leben erlösen zu müssen. Es war der einzige Ausweg, den sie gesehen hat.“

„Diese Tragödie seltenen Ausmaßes hat die ganze Familie zerstört“, stellte Verteidiger Marc Oliver Stenitzer fest. Die beiden Söhne seien tot, der Vater und Ehemann – er hat sich mittlerweile scheiden lassen – und die Großmutter würden damit nicht fertig, dasselbe gelte für die Zwillingsschwester der Mutter, der ihre Neffen ans Herz gewachsen waren. Sie sei in Folge des Geschehenen inzwischen selbst in stationärer psychiatrischer Behandlung.

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