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Aufruf zum Wahl-Boykott in Kuba

Für die Wahlen zur Nationalversammlung und zu den Provinzversammlungen in Kuba am Sonntag haben Dissidenten zum Boykott aufgerufen.

Für die 609 Mandate der Asamblea Nacional del Poder Popular (Nationalversammlung der Volksmacht) im einzigen kommunistisch regierten Land der westlichen Hemisphäre bewerben sich exakt 609 Kandidaten. Sie werden zu 50 Prozent von den im vergangenen Oktober gewählten Lokalparlamenten (Asambleas Municipales) und zu 50 Prozent von regierungstreuen Massenorganisationen wie den Komitees zur Verteidigung der Revolution, Gewerkschaften, Bauern- und Studentenverbänden und der Förderation der kubanischen Frauen vorgeschlagen.

Die Regierung von Staats- und Parteichef Fidel Castro preist den Urnengang als den „weltweit demokratischsten und transparentesten“. Es gebe weder eine Möglichkeit zur Bestechung noch zum Stimmenkauf noch zur Manipulation durch teure Wahlkampagnen. Dagegen kritisieren Regimekritiker, dass außer der regierenden KP keine anderen Parteien zugelassen sind. Eine Gruppe um die Reforminitiative „Projekt Varela“ des Dissidenten Osvaldo Paya, die unter anderem Meinungsfreiheit, eine Wahlrechtsreform und die Freilassung aller politischen Gefangenen fordert, ruft dazu auf, nicht zu den Urnen zu gehen oder leere beziehungsweise ungültige Stimmzettel abzugeben.

Bei den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Januar 1998 lag der Anteil der ungültigen Stimmen nach amtlichen Angaben bei fünf Prozent, die Wahlbeteiligung wurde mit 98,4 Prozent angegeben. Die für fünf Jahre gewählte Nationalversammlung verabschiedet die Gesetze, die in der Regel vom regierenden Staatsrat unter Vorsitz von Fidel Castro eingebracht werden. Das aktive und passive Wahlrecht gilt für etwa 8,2 Millionen Menschen ab dem 16. Lebensjahr. Um gewählt zu werden, ist ein Stimmenanteil von mehr als 50 Prozent nötig.

In ihrem Aufruf kritisieren die von der Regierung offiziell verbotenen, aber tolerierten Dissidenten, dass der Wahl jegliche „demokratische Legitimierung“ fehle. Die Rede ist von einer „traurigen Realität“ in Kuba mit einer „totalitären und überflüssigen Einheitspartei“, die „zu ihrem eigenen Machterhalt zu allem fähig“ sei. Die Kubanische Kommission für Menschenrechte und nationale Versöhnung (CCDHRN) unter Vorsitz des Dissidenten Elizardo Sanchez Santa Cruz rechnete in ihrem vor einer Woche in Havanna vorgestellten Halbjahresbericht für das laufende Jahr als Reaktion auf die „wachsenden sozialen Spannungen infolge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ mit einer „Zunahme der Repression gegen Regimekritiker“.

Paya, Vorsitzender einer christlichen Bürgerrechtsorganisation für Demokratie und Menschenrechte in Kuba, hatte 1998 ungeachtet zahlreicher Schikanen eine Kampagne für einen Volksentscheid über politische und wirtschaftliche Reformen in Kuba gestartet. Eine entsprechende Petition wurde der Nationalversammlung in Havanna 2001 vorgelegt, nachdem mehr als 11.000 Unterschriften gesammelt worden waren. Gemäß der Verfassung dürfen kubanische Bürger Gesetze vorschlagen, wenn dies von mindestens 10.000 Wählern unterstützt wird. Mittlerweile haben Paya zufolge mehr als 21.000 Menschen mit ihrer Unterschrift ihre Zustimmung zu dem so genannten „Projekt Varela“ bekundet, das nach dem kubanischen Priester und Freiheitskämpfer Felix Varela benannt ist.

Mehrere Organisationen von Exilkubanern in Miami im US-Bundesstaat Florida kritisierten unterdessen das „Projekt Varela“. Es sei ungeeignet, um in Kuba demokratische Verhältnisse zu erreichen, weil es auf „Reformen innerhalb der Struktur des derzeitigen Regimes und seiner Verfassung“ abziele. Damit legitimiere es letztlich den Machtmissbrauch durch die Kommunistische Partei Kubas.

Paya hatte im vergangenen Dezember in Straßburg den nach dem verstorbenen sowjetischen Dissidenten und Physiker Andrej Sacharow benannten Preis für Meinungsfreiheit des Europaparlaments entgegengenommen. Nach einer Rundreise durch Europa traf er kürzlich mit US-Außenminister Colin Powell in Washington zusammen.
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