Durchbruch im jahrelangen Ringen um Atomabkommen mit dem Iran

In den Atomverhandlungen mit dem Iran sind nach Angaben der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini und dem iranischen Außenminister Mohammad Javad Zarif die “Schlüssel-Parameter” für ein endgültiges Abkommen vereinbart worden. Teheran müsse seine Kapazität zur Uran-Anreicherung reduzieren, für die Anlage Fordo bei Ghom werde gar kein spaltbares Material zugelassen. Dies sagten Mogherini und Zarif am Donnerstagabend auf Englisch und Farsi vor Journalisten im schweizerischen Lausanne. Dem UN-Sicherheitsrat werde ein abschließendes Abkommen zur Billigung vorgelegt werden. Dieses soll bis Ende Juni vereinbart werden.
Iran fährt Uran-Anreicherung zurück
Iranischen Medienberichten zufolge muss der Zentrifugen-Bestand von 19.000 um gut zwei Drittel auf 6000 zurückgefahren werden. Demnach sollen in Fordo auch 1000 Zentrifugen verbleiben, diese sollten aber ausschließlich zu Forschungszwecken genutzt werden dürfen. Mit den Zentrifugen kann Uran angereichert werden – zur Energiegewinnung, aber auch für Atomwaffen.
Obama: “Historische Übereinkunft”
US-Präsident Barack Obama feierte den Durchbruch in Washington als “historische Übereinkunft”, die nun in ein “finales, umfassendes Abkommen” umgemünzt werden müsse. Und er warnte Teheran: “Wenn der Iran betrügt, wird die Welt das wissen”. Teheran könne nun weder durch Plutonium noch durch angereichertes Uran an Nuklearwaffen kommen, sagte Obama. Die große Mehrheit des angereicherten Urans werde neutralisiert. Nicht nur die bestehenden Anlagen, sondern auch die gesamte Versorgungskette des iranischen Atomprogramms werde nun strengstens überwacht.
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon begrüßte die Grundsatz-Vereinbarung zum iranischen Atomprogramm. Sie berücksichtige die Bedürfnisse des Irans, stelle aber gleichzeitig sicher, dass seine nuklearen Aktivitäten friedlich blieben. Eine Lösung in dem Atom-Konflikt werde zu Frieden und Stabilität in der Region beitragen.
Einigung für Israel “realitätsfern”
Israel weist die Grundsatz-Einigung mit dem Iran als realitätsfern zurück. Das Land werde sich weiter bemühen, ein schlechtes Abkommen der Weltmächte mit dem Iran zu verhindern. Der Jüdische Weltkongress (WJC) äußerte Zweifel an den Absichten des Irans. “Ich fürchte ein Szenario, bei dem wir in zehn Jahren die Wirtschaft des Irans wiederbelebt haben ohne die Entwicklung einer nuklearen Bewaffnung zu drosseln”, sagte WJC-Präsident Ronald Lauder in New York.
Kerry lobt Iran-Verhandlungen als “großen Tag”
US-Außenminister John Kerry lobte die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm als “großen Tag”. Der Iran habe nun die Rahmenbedingungen, um die wichtigsten Fragen in Bezug auf das Nuklearprogramms auszuräumen, schrieb der Chefdiplomat auf Twitter. “Bald zurück an die Arbeit über einen abschließenden Deal.” US-Präsident Barack Obama hatte trotz Widerstands im Kongress immer wieder auf eine Einigung gedrungen.
Steinmeier: “Wir sind durch”
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat die Vereinbarung über das iranische Atomprogramm als “großen und entscheidenden Schritt nach vorne” gewürdigt. “Wir sind durch”, erklärte er am Donnerstag nach dem Verhandlungsmarathon in der Schweiz. Für Jubelstimmung sei es zwar noch zu früh. “Dennoch: Mit den vereinbarten Eckpunkten haben wir Hindernisse aus dem Weg geräumt, die einer Einigung ein Jahrzehnt lang im Weg standen.”Nach Angaben Steinmeiers hat die Vereinbarung folgende Kernpunkte:
– Der Iran verpflichtet sich, sein nukleares Anreicherungsprogramm bis zu 25 Jahre einem mehrstufigen System von Beschränkungen und Kontrolle zu unterwerfen.
– Alle nuklearen Aktivitäten des Iran unterliegen für bis zu 25 Jahre strengster Überwachung durch die Internationale Atomenergiebehörde.
– Im Gegenzug hebt der Westen seine Wirtschaftssanktionen auf, kann sie aber bei Regelverstößen umgehend wieder in Kraft setzen.
Die Details sollen bis Ende Juni ausgehandelt werden. Steinmeier hofft bei einer endgültigen Einigung auf eine Signalwirkung auch für andere internationale Krisen. “Es wäre der erste und einzige Konflikt im Mittleren Osten, bei dem uns eine Entschärfung gelingt”, erklärte er. “Vielleicht entstehen aus dieser Dynamik auch Aussichten einer Entschärfung anderer gefährlicher Krisen und Konflikte im Nahen und Mittleren Osten.”
Atom-Verhandlungen in Lausanne
Die Außenminister der fünf UN-Vetomächte, Deutschlands und des Iran verhandelten seit dem Wochenende im schweizerischen Lausanne über ein Rahmenabkommen. Dies soll Teheran daran hindern, eine Atombombe zu bauen. Im Gegenzug sollen die vom Westen verhängten Sanktionen schrittweise aufgehoben werden. Die technischen Einzelheiten für das komplizierte Abkommen sollten bis Ende Juni vereinbart werden.
Direkte Auswirkungen des Rahmen-Abkommens
Ein Überblick der wichtigsten möglichen Auswirkungen, die es durch ein Rahmen-Abkommen im Atomstreit gibt:

Zwölf Jahre Atomstreit: eine Chronik
Im Streit um das iranische Atomprogramm verdächtigt der Westen Teheran seit Jahren, unter dem Deckmantel eines zivilen Programms heimlich Kernwaffen zu entwickeln. Der Iran bestreitet das. Nach dem Amtsantritt des Präsidenten Hassan Rohani 2013 kam Bewegung in den jahrelangen Konflikt. Derzeit versuchen der Westen und Teheran in Lausanne eine politische Rahmenvereinbarung zu erzielen.
2002: Irans Exil-Opposition “Volksmujaheddin” deckt die Existenz der Urananreicherungsanlage Natanz und Arbeiten am Bau eines Schwerwasser-Reaktors zur Plutoniumerzeugung in Arak auf. Spekulationen um ein geheimes Atomprogramm des Iran beginnen.
Oktober 2003: Einigungsschritt zwischen der EU und Teheran: Iran akzeptiert Anwendung des Zusatzprotokolls zum NPT (Atomwaffensperrvertrag). Dieses erlaubt der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO/IAEA) unangemeldete Inspektionen.
November 2004: Iran setzt unter Präsident Mohammad Khatami die Urananreicherung kurzfristig aus.
August 2005: Der Hardliner Mahmoud Ahmadinejad wird neuer Staatspräsident und beginnt eine “No-fear-Politik”. Die Atomanlage Isfahan, die teilweise abgeschaltet war, geht wieder voll in Betrieb.
2006: Die IAEO übergibt den Atomstreit an den UNO-Sicherheitsrat. Der Iran nimmt die Urananreicherung wieder auf. Die UNO verhängt erste Sanktionen. Bis 2012 folgen drei weitere UNO-Resolutionen. In der Folge versucht die internationale Staatengemeinschaft, durch Verhandlungen als 5+1-Gruppe (die fünf UNO-Vetomächte plus Deutschland) sowie durch Sanktionen den Iran von der Entwicklung von Nuklearwaffen abzuhalten.
7. Februar 2010: Teheran verkündet, man habe niedrig angereichertes Uran auf 20 Prozent gebracht, sei in der Lage, es auf 80 Prozent anzureichern, und erklärt sich zur Atommacht.
22. Jänner 2011: In Istanbul werden die Gespräche zwischen dem Iran und der 5+1-Gruppe auf unbestimmt Zeit vertagt.
2012: Die EU beschließt ein Öl- und Gasembargo gegen Teheran; Irans Ölexporte schrumpfen um ein Drittel. US-Präsident Barack Obama lässt Eigentum und Vermögenswerte des Iran in den USA blockieren; Irans Großbanken werden sanktioniert. Israel droht mehrmals mit einem Militärschlag gegen den Iran. Neue IAEO-Resolution gegen den Iran: Forderung nach Zugang zur Anlage in Parchin.
2013: Nach mehreren Monaten Unterbrechung werden Verhandlungen in Almaty ohne Ergebnis fortgesetzt. In seiner ersten UN-Rede versichert Irans Präsident Hassan Rohani, er sei zu “fristgebundenen und ergebnisorientierten Atom-Verhandlungen” bereit. US-Präsident Obama telefoniert mit Rohani. Dies ist der erste direkte Kontakt auf dieser Ebene zwischen beiden Ländern seit 1979.
20. November: Interimsabkommen in Genf: Der Iran muss sein Atomprogramm zunächst für sechs Monate auf Eis legen. Dafür sollen Sanktionen gelockert werden.
20. Jänner 2014: Der Interims-Deal tritt in Kraft. Die EU-Außenminister beschließen Sanktionslockerungen. Die IAEO bestätigt zuvor, dass Teheran seinen Teil der Interimsvereinbarung vom November einhält.
Februar bis Juli 2014: Sechs Verhandlungsrunden in Wien. Bei der UN-Vollversammlung gibt es neue Verhandlungen. Treffen in Maskat und Wien folgen. Im November wird die Deadline für ein politisches Rahmenabkommen bis 31. März 2015 verlängert; bis Juli 2015 soll es eine endgültige Lösung geben.
März 2015: Verhandlungen in Lausanne. Beteiligten sprechen von “substanziellen Fortschritten, aber auch noch von Differenzen”. Nach der Deadline vom 31. März für ein politisches Rahmenabkommen wird noch bis 2. April verhandelt und eine Einigung in den Eckpunkten erzielt.
Stichwort: Iran
Der Iran ist moderner als die meisten Europäer denken. Die Islamische Republik mit ihren 78 Millionen Einwohnern ist zudem jung. Zwei von drei Persern sind jünger als 25 Jahre. Viele der jungen Menschen sind gut ausgebildet.
Die Erbfeindschaft mit Israel, die in den Reden der Politiker thematisiert wird, spielt in Wirklichkeit im Leben der Perser keine gewichtige Rolle. Vielmehr gilt ein erheblicher Teil der Bevölkerung durchaus als prowestlich. Die Sanktionen – vor allem das Ölembargo der EU 2012 – hat das Land hart getroffen. Die Einnahmen von 118 Milliarden Dollar fielen zwischenzeitlich auf knapp 42 Milliarden Dollar (38,7 Milliarden Euro). Die Inflation erreichte vorübergehend mehr als 40 Prozent. (APA/red)