Die Ablehnung der Atomenergie ist bei weitem nicht in allen EU-Staaten so groß wie in Österreich. Laut einer im Vorjahr durchgeführten "Eurobarometer"-Umfrage halten sich positive und negative Erwartungen an die Nuklearforschung mit je 46 Prozent die Waage. Dies aber nur wegen der deutlichen Ablehnung in Deutschland (69 Prozent) und der großen Skepsis in Frankreich (45 Prozent). In den meisten kleineren EU-Ländern sieht die Bevölkerung die Nuklearforschung großteils positiv.
Atomenergie als Thema
Die Frage nach der Einschätzung der Atomenergie ist Teil einer Erhebung zur Einstellung der Europäerinnen und Europäer zu Wissenschaft und Technologie (Eurobarometer: 26.827 Befragte). Im vorigen April und Mai wurden dabei auch drei Möglichkeiten der Energiegewinnung abgefragt. Die höchste Zustimmung gab es dabei in allen EU-Ländern für alternative Energiequellen: 92 Prozent der Befragten gaben an, in den kommenden 20 Jahren positive Auswirkungen der Solarenergie zu erwarten, 87 Prozent erwarten positive Auswirkungen der Windenergie.
Zur Kernenergie, die die EU-Kommission nun gemeinsam mit Erdgas als bedingt klimafreundlich einstufen will, ergab die Umfrage kein klares Stimmungsbild: 46 Prozent der Europäerinnen und Europäer trauen der Nuklearforschung in Summe positive Effekte zu, ebenso viele erwarten negative Auswirkungen. Weitere drei Prozent erwarten keinen Effekt, fünf Prozent machten keine Angabe.
Weniger als ein Drittel traut Kernenergie positive Wirkungen zu
Allerdings ergab die Umfrage massive Unterschiede zwischen den EU-Ländern. Besonders ausgeprägt ist die Skepsis in Deutschland und Österreich, wo nur 25 bzw. 30 Prozent der Kernenergie positive Auswirkungen zutrauen. Von negativen Effekten gehen 69 Prozent der Deutschen und 66 Prozent der Österreicher aus. Auch in Luxemburg und Griechenland überwiegt die Ablehnung. In Deutschland sollen heuer die letzten drei Atomkraftwerke vom Netz gehen.
Fast genau im europäischen Durchschnitt liegt Frankreich, wo sich positive und negative Erwartungen mit je 45 Prozent die Waage halten. Auch in Spanien, Portugal, Dänemark und Belgien liegen Zustimmung und Ablehnung knapp beisammen.
Wo positive Erwartungen an Kernkraft überwiegen
In allen anderen EU-Ländern überwiegen dagegen die positiven Erwartungen an die Kernkraft - allen voran in Tschechien (79 Prozent) und Bulgarien (69 Prozent). In der Slowakei und in Schweden trauen je zwei Drittel der Nuklearenergie positive Effekte zu. Und in Finnland, wo erst im Dezember ein neuer Reaktor ans Netz genommen wurde, erwarten 60 Prozent positive Auswirkungen der Kernenergie - so viele wie in Polen.
In Österreich bewerten übrigens 91 Prozent die Solarenergie positiv, die Windenergie 85 Prozent - mit nur geringen Unterschieden zwischen Geschlechtern und Altersgruppen. Deutlich ist der Unterschied aber bei der Atomenergie, der die Männer (34 Prozent) noch eher einen positiven Effekt zutrauen als die Frauen (26 Prozent).
Abraten von Europarechtler
Der Europarechtler Walter Obwexer rät Österreich von einer Klage gegen die Pläne der EU-Kommission, Atomkraft und fossiles Gas per Verordnung für Finanzprodukte als nachhaltig einzustufen, ab. Die Aussichten, damit durchzukommen, seien nicht groß, sagte Obwexer im "Morgenjournal" des ORF-Radios Ö1 am Dienstag. Eine Klage vor dem EuGH, wie von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) anvisiert, hätte ihm zufolge auch keine aufschiebende Wirkung.
Eine sogenannte Nichtigkeitsklage gegen die neue Einstufung der Energieformen (Taxonomie) könnte laut dem Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck aus zwei Gründen erfolgen: Verstoß der Kommission gegen die bisherige Taxonomieverordnung von 2020 und/oder Ermessensüberschreitung durch die Kommission. Obwexer: "Beide Klagegründe scheinen nicht Erfolg versprechend zu sein." Die Zuständigkeit der EU-Kommission sei in der Frage der Einstufung jedenfalls "eindeutig gegeben", betonte der Europarechtler. Das Argument, dass Atomkraft nicht nachhaltig sei, stehe auf schwachen Beinen.
Dauer bis zu Entscheidung
Die Klage könnte erst nach Inkrafttreten der neuen Verordnung - "voraussichtlich nicht vor Sommer" - eingebracht werden, so Obwexer weiter. Bis zu einer Entscheidung würde es circa eineinhalb Jahre dauern; die Verordnung wäre bis dahin in Kraft. Investoren könnten schon jetzt bei Gerichten in Österreich Klagen einbringen, die sich dann wiederum an die EU-Gerichtsbarkeit wenden würden. Dass Österreich ausreichend andere EU-Mitglieder findet, um den Taxonomie-Vorschlag der EU-Kommission zu Fall zu bringen, oder eine Mehrheit im EU-Parlament dagegen stimmt, gilt ebenfalls als unwahrscheinlich.
Die Einstufung ist unter den EU-Mitgliedsstaaten umstritten. Während etwa Frankreich oder Tschechien auf Atomkraft setzen, steigt Deutschland bis Ende 2022 aus der Technologie aus - und schrittweise auch aus der Kohle. Deutschland begrüßt aber den Teil des Kommissionsvorschlags zum Gas als Brückentechnologie auf dem Weg aus der Klimakrise.
(APA/Red)