A Wer sprach mehr aus Ihrem Kinderherzen: Pippi, Ronja oder die Kinder von Bullerbü?
B Wie wichtig war Astrid Lindgren in ihrer Kindheit und wie wichtig soll sie für Ihre eigenen Kinder sein?
C Was glauben Sie, hat Lindgrens Geschichten über all die Jahre überleben lassen?
Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (S):
A: Es war selbstverständlich Pippi, denn sie war so etwas wie eine Superheldin, die alles vermochte. Zudem war ja Pippi Langstrumpf nicht nur ein abstraktes literarisches Produkt, sondern auch eine Kino- und ein bisschen später eine Fernsehgestalt. Sie war lebendig im eigentlichen Sinn des Wortes. Als Bub konnte ich selbstverständlich nicht Pippi Langstrumpf sein. Aber sie hatte ja zwei Freunde, die in einer vollkommen normalen Familie aufwuchsen und mit ihr gemeinsam die spannendsten Abenteuer erlebten. Von so einer Welt der Abenteuer, von dieser Subversion von Autoritäten, träumten Kinder, die in den 60er Jahren hier in Österreich aufgewachsen sind. Ich bin ein Kind der 60er Jahre und teile daher diesen Erfahrungshintergrund.
B: Pippi Langstrumpf war in einer Phase meiner Kindheit wichtig, aber sie war natürlich nur eine Gestalt von Bedeutung. Ich wollte schon ein bisschen verwegener sein, und dafür boten für mich als Bub die Gestalten von Karl May die bessere Identifikationsmuster an. Meine Tochter ist inzwischen in einer viel freieren und kindgerechteren Welt aufgewachsen. Sie hat sich andere Heldinnen gesucht.
C: Astrid Lindgren hat die Sehnsüchte der Kinder niedergeschrieben und nicht die Wertvorstellung der Erwachsenen, wie sie in den klassischen Kinder- vor allem Mädchenbücher zum Ausdruck gekommen sind. Und diese Sehnsüchte sind zeitloser.
Staatsoperndirektor Ioan Holender:
A: Pippi, da ich leider weder Ronja noch Die Kinder von Bullerbü in meiner Kindheit kennengelernt habe.
B: Für meine Kindheit war sie nicht so wichtig, weil sie und ihre Bücher kaum bekannt waren. Für meine Kinder waren und sind sie sehr wichtig. Vor allem für meine Tochter Alina (9) sind sie äußerst wichtig und somit jetzt auch für mich, weil ich ihr diese auch vorlese. Wir waren auch gemeinsam in Stockholm im Junibacken, dem Astrid-Lindgren-Park. Gemeinsam schauen wir uns auch die Verfilmungen der Lindgren-Bücher an.
C: Ihre hervorragende Qualität in Bezug auf die Themen und die Beschreibungen der Charaktere und der Orte. Deren Gültigkeit ist zeitlos. Nehmen Sie nur Pippi oder den Karlsson, beides sind Figuren, die heute genauso die Herzen der Kinder berühren, die sie ebenso zum Lachen bringen oder ihre Fantasie beflügeln. Diese Geschichten könnten auch heute geschrieben worden sein.
MUMOK-Direktor Edelbert Köb:
A: Zu meiner Zeit gab es nur Pippi, aber ich bin sicher, aus meinem Kinderherzern hätte Ronja mehr gesprochen, weil da so wilde Abenteuer vorkommen, die meiner eigenen Fantasiewelt entsprachen. Aber auch die Eigenständigkeit und der Mut Pippis ganz allein mit ihren Tieren zu leben, dem eigenen Urteil zu trauen und sich nicht auf Konventionen zu verlassen, imponierten mir sehr.
B: Lindgren gehörte eben zu den Büchern, die man sich merkt, deshalb war es auch ganz selbstverständlich, diese Bücher meinen Kindern zu empfehlen, sie haben dann alle Bücher gelesen, aber auch mit uns Eltern die Verfilmungen gesehen, auch sie hat der Mut, die Eigenständigkeit und die Leidenschaftlichkeit von Lindgrens Figuren angesprochen.
C: Lindgrens Geschichten sind eben Literatur, mit Menschen aus Fleisch und Blut, die immer wiederkehrende menschliche Probleme behandeln wie Mut, Ehrlichkeit, Freundschaft und eigenständiges Denken. Diese Figuren haben Vorbildcharakter an denen sich Kinder orientieren können.
Hej, Astrid! im Kindermuseum: Leseraum statt Lindgren-Erlebniswelt
Alle feiern Astrid Lindgren, und auch das ZOOM Kindermuseum feiert mit. Doch das Hej, Astrid! genannte Geschenk, das im Wiener Museumsquartier am morgigen 100. Geburtstag der schwedischen Kinderbuchautorin um 12 Uhr mit einem Geburtstagsfest ausgepackt wird, enttäuscht. Es ist eine Mogelpackung, in der weniger drinnen ist als draufsteht. Was als Erlebniswelt und Ausstellung angekündigt ist, entpuppt sich in Wahrheit als mit ein paar netten Details ausgestatteter Bibliotheks- und Bastelraum.
Wer in die Welt von Pippi, Lotta, Madita, Karlsson vom Dach, Michel aus Lönneberga oder Ronja Räubertochter eintauchen möchte, bleibt auch hier auf seine eigene Fantasie beim Lesen angewiesen. In den von Studentinnen und Studenten der wiener kunst schule verquer aufgestellten Regalen finden sich hauptsächlich Lindgren-Bücher, dazwischen ein paar Schaukästen und Puppen mit Figuren und Szenen aus den bekannten Büchern, ein paar Sprüche und Hörstationen. Die von Gerhard Hermanky, dem Direktor der wiener kunst schule, bei der gestrigen Presseführung gerühmte interdisziplinäre Interaktivität ist kaum der Rede wert und erinnert an das übliche Kindergartenangebot.
An einer Schnur kann man Karlsson zum Plafond schweben lassen, etliche große, mit leeren Seiten ausgestattete Bücher warten darauf, von den Kindern bis 30. November mit eigenen Geschichten und Zeichnungen gefüllt zu werden – als Geschenk für Astrid Lindgren, meinte Kindermuseums-Direktorin Elisabeth Menasse-Wiesbauer. Aber die ist doch schon tot, antwortete halblaut ein Kind.
Für Kinder von 6 bis 12 Jahren ist Hej, Astrid! gedacht, doch schon Zehnjährige sind deutlich unterfordert. Warum man für einen Leseraum, in dem obendrein kaum gemütliche Sitzgelegenheiten vorhanden sind, dann auch noch drei Euro Eintritt zahlen soll, versteht kein Kind. Und auch nicht, wovon der Schwedische Botschafter Hans Lundborg spricht, wenn er seufzt: Wir haben viel gearbeitet für diesen Staatsbesuch, seit Jänner praktisch Tag und Nacht. Das gilt jedoch nicht Astrid oder Pippi, sondern Königin Sylvia. Auch eine bekannte Schwedin. Sie wird beim Symposium Das Recht auf Kunst ist ein Kinderrecht die Abschlussrede halten.