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Assistierter Suizid: Experten kritisieren Einseitigkeit in Medienberichten

Assistierter Suizid ist erst seit 2022 in Österreich legal möglich.
Assistierter Suizid ist erst seit 2022 in Österreich legal möglich. ©APA/GEORG HOCHMUTH (Symbolbild)
Laut österreichischem Presserat sollte eine verantwortungsvolle Berichterstattung über das Thema Suizid immer auch präventiv in Hinblick auf Imitationssuizide ("Werther-Effekt") wirken.
Niki Glattauer ist tot

Was den aktuellen Umgang mit dem assistierten Suizid von Niki Glattauer betrifft, sieht Autor und Medienexperte Golli Marboe jedoch "einiges zu überprüfen oder auch in Frage zu stellen." Er ortete etwa einen Mangel an alternativen Sichtweisen zu dem vermittelten "würdevollen" Sterben.

Eine Kritik, die Thomas Niederkrotenthaler teilt. "Die Geschichte, die hier erzählt wird, zeigt ja doch den assistierten Suizid als eigentlich alternativlos und vor allem als einzige Möglichkeit, würdevoll zu sterben", kritisierte der Suizidforscher am Zentrum für Public Health an der MedUni Wien das am Dienstag publizierte Interview mit Glattauer. Es gebe viele Beispiele, wo auch andere Wege gefunden wurden, um würdevoll zu sterben. Solche würden sich etwa im Buch "Gut gelaufen" finden, in dem die Palliativmedizinerin Eva Masel von ihrem Arbeitsalltag berichtet.

Berichte und Statements vonseiten der Palliativmedizin oder der Hospizbewegung vermisst aktuell auch Marboe, wie er im Gespräch mit der APA sagt. Denn gerade im Qualitätsjournalismus müsse die andere Seite ebenso Gehör finden, denn grundsätzlich sei nichts gegen die Thematisierung der Option assistierter Suizid einzuwenden, noch würde er diese Option ablehnen. Werde sie aber wie in diesem Fall mehr oder weniger als die Lösung angeboten, dann entstehe ein "Nachahmungseffekt", so der Mitautor des 2021 erschienenen "Leitfaden zur Berichterstattung über Suizid" des Vereins Kriseninterventionszentrum. Zudem könne die aktuelle Berichterstattung den Eindruck entstehen lassen, es gebe eine pauschale Antwort auf die substanzielle Frage nach Leben und Tod.

Leitfaden für medialen Umgang

Der angesprochene Leitfaden nimmt jedenfalls Stellung zum medialen Umgang mit dem assistierten Suizid und stellt dabei grundsätzlich fest, dass die "gleichen Prinzipien wie generell in der Berichterstattung über Suizid" gelten würden. Zu Berichten über den assistierten Suizid heißt es weiter, wenn diese einen solchen als "verständlichen Schritt und geeignete Lösung" beschreiben, berge dies die Gefahr, "andere Menschen in gänzlich anderen Lebenssituationen zur Nachahmung zu motivieren", wie auch die Gefahr, so einen sozialen Druck zu generieren.

Eine mögliche Ambivalenz ortet Niederkrotenthaler, ebenfalls Mitautor des Leitfadens, im Fall Glattauer mit der (von diesem gewünschten, Anmerkung) Veröffentlichung des Interviews vor der Durchführung des assistierten Suizids. Daraus ergebe sich die potenzielle Problematik, dass hier eine "Tür zugemacht" werde - nämlich hinsichtlich der Möglichkeit, diese Entscheidung zu revidieren. Aus Österreich liegen hier zwar keine Zahlen vor, da dieser Weg erst seit 2022 rechtlich geregelt ist, jedoch würden im US-Bundesstaat Oregon, wo die Suizidbeihilfe seit 1997 legalisiert ist, "46 Prozent der Personen die letal wirkende Substanz nicht zu sich nehmen", so der Experte.

Marboe kritisierte auch die "detaillierte Beschreibung der Art und Weise, wie man sich das Leben nimmt" - ein Aspekt, der in der Suizidberichterstattung als grundsätzlich kritisch gesehen wird und dessen negative Wirkung auch wissenschaftlich belegt ist. Es sollte stattdessen das Gegenteil des "Werther-Effekts" vermittelt werden - wie etwa den Umstand, dass es Menschen gibt, "die sich ganz bewusst anders entscheiden".

Monokausale Sichtweisen vermeiden

Diese Ansicht deckt sich auch mit einer Empfehlung des österreichischen Presserats, der die Suizidberichterstattung 2012 in seinem Ehrenkodex verankert hat. Dieser empfahl 2022 unter anderem "in einem Suizidbericht Informationen anzuführen, wie eine suizidale Krise überwunden werden kann." Das sei ein Beitrag, um gefährdete Personen von einem Suizid abzuhalten ("Papageno-Effekt"). Grundsätzlich gelte es, eine monokausale Sichtweise auf multikausale Problematiken zu vermeiden, forderte Marboe. Das Leben sei vielschichtig und vielfältig und biete unterschiedliche Perspektiven an. Und so sollte man sich auch dem aktuellen Fall annähern.

Niederkrotenthaler hielt zudem fest, dass beim Thema assistierter Suizid in den Medien nicht auf die Angehörigen vergessen werden sollte - und deren Zerrissenheit zwischen der Solidarität mit dem Betroffenen und dessen Todeswunsch und dem eigenen Wunsch nach einer anderen Möglichkeit. Hier gelte es, auf spezielle Hilfsangebote aufmerksam zu machen, die etwa das Kriseninterventionszentrum Wien anbietet.

Assistierter Suizid seit 2022 möglich

Assistierter Suizid, wie ihn der Autor Niki Glattauer in Anspruch genommen hat, ist erst seit 2022 in Österreich legal möglich. Notwendig geworden war das Gesetz nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH). Die aktive Sterbehilfe ist weiter verboten. Zahlen des Gesundheitsministeriums zeigen, dass längst nicht jeder, der eine sogenannte Sterbeverfügung ausgestellt bekommt, auch tatsächlich sein Leben auf diese Art beendet.

Wien. Im Jahr 2025 wurden laut "Standard" unter Berufung auf das Gesundheitsministerium 200 Sterbeverfügungen in Österreich errichtet. Seit Beginn der Neuregelung waren es 772. Zahlen der vergangenen Jahre zeigen: Weniger als 50 Prozent dürften den assistierten Suizid nicht tatsächlich ausführen. Mit Stand vor einem Jahr waren etwa 181 Fälle bekannt. Dem gegenüber standen 481 Sterbeverfügungen. 398 Mal wurde das Medikament tatsächlich ausgegeben, 52 Substanzen wurden retourniert.

Der VfGH hatte im Dezember 2020 auf Antrag von zwei schwerkranken Betroffenen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs in Bezug auf Hilfeleistung zum Selbstmord als verfassungswidrig aufgehoben. Die schwarz-grüne Regierung reagierte darauf mit dem Sterbeverfügungsgesetz (StVfG). Wer sein Leben selbst beenden möchte, kann demnach unter bestimmten Voraussetzungen eine Sterbeverfügung errichten.

Unheilbare Krankheit Voraussetzung

Für die Beantragung einer Sterbeverfügung muss die betroffene Person an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leiden. Die Folgen einer solchen Krankheit müssen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen, und die Krankheit muss einen nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringen.

Die für ein Jahr gültige Sterbeverfügung kann ausschließlich schriftlich von einem Notar oder einem Mitarbeiter einer Patientenvertretung errichtet werden, davor muss eine Aufklärung durch zwei Ärzte erfolgen, die unabhängig voneinander bestätigen, dass die sterbewillige Person entscheidungsfähig ist und einen freien und selbstbestimmten Entschluss gefasst hat.

Wartefrist von drei Monaten

Nach der Aufklärung gilt eine Wartefrist von drei Monaten, ehe die Sterbeverfügung errichtet werden kann. Dies soll sicherstellen, dass sich der oder die Betroffene nicht bloß in einer vorübergehenden Krisenphase befindet. Für Menschen, die voraussichtlich nur mehr sehr kurz zu leben haben, wird die Frist auf zwei Wochen verkürzt. Das tödliche Präparat muss in der Apotheke abgeholt werden. Es handelt sich um Natrium-Pentobarbital, das auch in der Schweiz verwendet wird und oral in Wasser aufgelöst eingenommen wird.

Dass der Umgang mit der relativ neuen Gesetzeslage noch schwierig ist, zeigen anhaltende Kritik etwa aus der Ärzteschaft, den Apotheken und auch Pflegeheimen. Zudem landen Regelungen immer wieder vor dem VfGH, zuletzt wegen des anhaltenden Verbots der "Mitwirkung an der Selbsttötung". Zuletzt zeigte die Volksanwaltschaft einen Fall auf, in dem Polizei und Rettungskräfte versucht hatten, eine Frau trotz aufrechter Sterbeverfügung wiederzubeleben.

Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich. Infos für Jugendliche gibt es unter www.bittelebe.at. Kriseninterventionszentrum Wien: https://kriseninterventionszentrum.at/- Leitfaden unter: https://go.apa.at/j97Ug2EY.

(APA/Red)

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