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Armada von Wahlbeobachtern

Ron Gould ist fassungslos. Seit Jahren arbeitet der Kanadier als Wahlbeobachter für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), an mehr als 70 Wahlenhat er bereits teilgenommen, vom Balkan bis Südafrika.

Aber so etwas wie die US-Präsidentschaftswahl hat er noch nie erlebt: „Das ist nicht eine Wahl, das sind 13.000 Wahlen“, klagt er über die Komplexität des amerikanischen Systems. Wie Gould kämpft das ganze Land derzeit mit den Besonderheiten des diesjährigen Urnengangs. Allen steckt noch das Wahlchaos vom Jahr 2000 in den Knochen, dem das Oberste Gericht erst nach fünf Wochen ein Ende bereitete.

Vor vier Jahren fiel die Entscheidung über den Präsidenten in Florida – nachdem veraltete Wahlmaschinen und unübersichtliche Wahlzettel ein derartiges Chaos ausgelöst hatten, dass auch Wochen später noch nachgezählt werden musste; bis die Obersten Richter einschritten und mit vier zu fünf Stimmen den republikanischen Kandidaten George W. Bush zum Sieger erklärten. Nach dem bis heute strittigen Ergebnis siegte der Republikaner in Florida gegen den Demokraten Al Gore mit nur 537 Stimmen Vorsprung.

Eine Neuauflage des Fiaskos halten derzeit alle angesichts des erneut ausgesprochen knappen Rennens für durchaus möglich – und wollen alles tun, um es zu verhindern. Eine Armada von freiwilligen Helfern soll Wählern bei der korrekten Stimmabgabe helfen. Sollte es dennoch zum Patt kommen, stehen tausende Anwälte bereit, um notfalls die Wahl anzufechten. Und vor den Wahllokalen stehen derweil die Bürger Schlange, weil ihnen aufgegangen ist, dass möglicherweise tatsächlich jede Stimme zählt.

„Ich kann es kaum glauben, wie viele hier warten. Sie hatten ja gesagt, dass sie mit einem neuen Rekord bei der Wahlbeteiligung rechnen. Aber das sagen sie ja jedes Jahr…“, sagt Shelley Orwick. Die 24-jährige Universitätsassistentin steht schon seit einer halben Stunde vor dem Wahllokal in einem Vorort von Columbus, der Hauptstadt des US-Bundesstaats Ohio. Sie will für Bushs Gegner, John Kerry, stimmen. Ihrer Nachbarin in der Schlange, der 29-jährigen Rechtsanwaltsgehilfin Deborah Scott, ist die Vorstellung, Kerry könnte gewinnen, dagegen ein Graus. „Bei Bush weißt du wenigstens, wofür er steht“, sagt sie.

Die kurze Umfrage ist beispielhaft dafür, wie tief gespalten das Land ist. Ohio zählt zu den unentschiedenen Staaten („swing states“), in denen die Entscheidung zwischen Bush und Kerry auf der Kippe steht. Im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichtkeit steht aber vor allem der „swing state“ Florida – zum einen wegen des dortigen Fiaskos vor vier Jahren, zum anderen, weil die Wahllokale dort schon seit dem 18. Oktober geöffnet sind und sich schon jetzt eine Reihe von Unregelmäßigkeiten gezeigt haben. So waren fast 60.000 Briefwahlscheine in der Post verloren gegangen, wurden nicht-registrierte Wähler an ihrer Stimmabgabe gehindert, gab es Probleme mit alten Stanzmaschinen und neuen Wahlcomputern.

Allein in dem Sonnenstaat haben Bürgerrechtsgruppen und regierungsunabhängige Organisationen zehntausende Wahlhelfer mobilisiert, um den Wählern – vor allem aber den zahllosen Neuwählern – zu helfen. „Ich bin mir sicher, dass sie es wieder mit ihren schmutzigen Tricks versuchen werden“, sagte Chris Ott, einer von ihnen, ohne zu erklären, wen er mit „sie“ eigentlich meint. Der 51-jährige Malermeister versichert gleichzeitig, er wolle niemanden beeinflussen: „Wir sind nur hier, um den Menschen zu helfen und sicherzustellen, dass ihre Stimme auch wirklich zählt.“ Dass er damit indirekt doch Wahlhilfe für Kerry betreibt, weil viele aus den armen und ungebildeten Schichten erstmals wählen wollen, um vier weitere Jahre Bush zu verhindern, bestreitet Ott nicht.

Wie für OSZE-Vertreter Gould ist auch für den chilenischen Soziologen Manuel Antonio Garreton die US-Wahl ein besonderes Erlebnis. Aus den Wahllokalen des Florida-Problembezirks Miami-Dade wurden seine Leute wegen irgendwelcher lokaler Bestimmungen herausgeworfen. „Wir wollen doch nicht herumschnüffeln, sondern nur den Prozess beobachten“, sagt Garreton. Dies sei nicht nur „den Ländern der Dritten Welt vorbehalten“.

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