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Anschläge auf deutsche ICE-Züge: Prozess in Wien eröffnet

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.
Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. ©APA
Am Dienstag ist am Wiener Landesgericht unter strengen Sicherheitsvorehrungen der Prozess gegen einen 44-Jährigen eröffnet worden, der als Anhänger der radikalislamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) Anschläge in Deutschland geplant haben soll.

Laut Anklage wollte der gebürtige Iraker mit Wohnsitz in Wien 2018 ICE-Züge zum Entgleisen bringen, scheiterte aber zwischen Jänner und Dezember 2018 bei vier Versuchen. Seine Frau ist als Beitragstäterin mitangeklagt.

Konkret wird dem Ehepaar mehrfacher versuchter Mord als terroristische Straftat, schwere Sachbeschädigung als terroristische Straftat und das Verbrechen der terroristischen Vereinigung angelastet. Der 44-Jährige bekannte sich eingangs der Verhandlung zur schweren Sachbeschädigung schuldig, stellte aber in Abrede, sich als Terrorist für den IS betätigt oder gar in Tötungsabsicht gehandelt zu haben. Es sei seinem Mandanten nicht darum gegangen, ein katastrophales Zugsunglück herbeizuführen, betonte sein Verteidiger Wolfgang Langeder: "Er wollte Aufmerksamkeit erregen." Mit seinem Tun habe der Iraker Deutschland und andere europäische Staaten dazu bringen wollen, seine bzw. ihre Truppen aus dem Irak abzuziehen.

Mann flüchtete 2012 nach Österreich

Der in seiner Heimat vorgeblich politisch verfolgte Mann war 2012 nach Österreich geflüchtet. Im Jänner 2013 wurde ihm Flüchtlingsstatus zuerkannt, im November desselben Jahres kam im Rahmen einer Familienzusammenführung seine um elf Jahre jüngeren Ehefrau nach. Mit vier minderjährigen Kindern lebte das Paar in einer Gemeindewohnung in Simmering. "Es war eine sehr unauffällige Familie. Sie haben kaum soziale Kontakte gepflegt", führte Staatsanwalt Markus Berghammer aus. Nach außen hin hätten die beiden "gut integriert" gewirkt: "Unter dieser Fassade schlummert aber etwas ganz Anderes. Nämlich die Weltanschauung des IS. Dieses Gedankengut tragen die beiden in sich und haben es verinnerlicht."

Schon bei seiner Einreise nach Österreich soll der 44-Jährige aktive Kontakte zum IS unterhalten haben. Regelmäßig kommunizierte der Asylberechtigte mit einem in der Schweiz lebenden Iraker, der 2017 in der Schweiz als Kopf einer IS-Zelle verurteilt wurde. Folgt man der Anklage, radikalisierte sich der in einem Supermarkt beschäftigte Familienvater zusehends. Schließlich soll er beschlossen haben, selbst Anschläge im Namen des IS durchzuführen.

ICE-Züge sollten entgleisen

Zu diesem Zweck reiste der Mann laut Staatsanwaltschaft zunächst nach Paris und Marseille, um nach geeigneten Anschlagzielen Ausschau zu halten. Ein Artikel in einem Online-Magazin des IS brachte ihn dann auf die Idee, in Deutschland ICE-Züge mittels Balken-Konstruktionen zum Entgleisen zu bringen. Er soll sich dafür umfangreiches Fachwissen in Eisenbahnwesen und Zugtechnik angeeignet haben, in einem Baumarkt Bauteile besorgt und in der Abstellkammer seiner Wohnung eine Balken-Konstruktionen hergestellt haben.

Am 25. Jänner 2018 befestigte er laut Anklage vor dem Herannahen eines ICE Holzkeile mittels Ketten und Metallteilen auf Bahngeleisen in Allersberg, einem Vorort von Nürnberg. Außerdem hinterließ er eine Box mit einer SD-Karte, auf der eine Rede des ehemaligen IS-Sprechers Abu Mohammad Al-Adnani abgespeichert war. Der geplante Anschlag scheiterte, weil die Keile zu kurz waren, um einen ICE aus der Spur zu bringen.

Am 19. August 2018 tauchte der Mann wieder in Allersberg auf und legte - wie die Staatsanwaltschaft ausführt - diesmal vier statt zwei Holzteile in Form von Balkenschuhen mit aufgesetzten Keilen und Metallketten auf die Geleise der Schnellbahnstrecke zwischen Nürnberg und München. Zudem hinterließ er an einer Eisenbahnbrücke ein islamistisches Graffito. Im Vorfeld hatte er außerdem ein Schreiben aufgesetzt, in dem er mit weiteren Attentaten auf ICE-Züge in ganz Europa drohte. Auch diesmal wuchtete ein ICE beim Aufprall das Hindernis auf die Seite, ohne dass gröbere Folgen eintraten.

Auch Ehefrau soll von Plänen gewusst haben

Daraufhin änderte der 44-Jährige seine Pläne, wobei seine Ehefrau mittlerweile in diese eingeweiht gewesen und ihrem Mann bei den Vorbereitungen geholfen haben soll. Am 7. Oktober 2018 begab sich der IS-Sympathisant - nach seiner Festnahme Ende März 2019 wurde im Zug einer Hausdurchsuchung umfangreiches Propagandamaterial sichergestellt - wieder nach Allersberg und spannte ein Stahlseil schräg über die Geleise, das er an zwei Oberleitungsmasten befestigte. Um 23.19 Uhr kollidierte ein mit 160 Passagieren besetzter ICE mit einer Fahrtgeschwindigkeit von 204 km/h mit dem Stahlseil, was einen Lichtblitz und Schäden an der Frontscheibe sowie am Lack des Triebwagens, aber nicht mehr bewirkte.

Darauf hin zielte der 44-Jährige auf einen Anschlag in Berlin ab - "dem Herzen Deutschlands", die der Staatsanwalt sagte. In einem Copyshop im Wiener Westbahnhof stellte er Kopien eines Drohschreibens her - die Vorlage vergaß er allerdings im Drucker, was wesentlich zu seiner Ausforschung beitrug.

Am 15. Dezember 2018 soll der Angeklagte an der Berliner S-Bahn-Station Karlshorst ein Seil mit zu Hakenkrallen gebogenen Eisenstangen über die Oberleitung geworfen haben, womit er wiederum einen Personenzug entgleisen lassen wollte. Allerdings touchierte dann ein Güterzug mit dem Hindernis, was einen gewaltigen Lichtblitz zur Folge hatte, wodurch der Oberleitungsmast beschädigt wurde.

"Sie wollten Anschläge im Namen des IS begehen, die größtmöglichen Sachschaden, größtmöglichen Personenschaden anrichten", meinte der Staatsanwalt. Der 44-Jährige sei "von der Idee besessen" gewesen, seine Frau habe ihn "tatkräftig" unterstützt.

"Bin eine unbekannte Person"

"Ich habe nicht geglaubt, dass es zu einer Entgleisung kommen kann. Hätte ich das geglaubt, hätte ich das nicht ausgeführt", betonte der 44-Jährige in seiner Einvernahme, die sich über Stunden hinzog. Er habe bewusst ICE-Züge gewählt, "weil diese Sensoren haben". Er sei davon ausgegangen, dass diese Sensoren beim Aufprall auf die Holzkeile bzw. das Stahlseil "anschlagen, der Schaffner aussteigt und die hinterlegten Drohschreiben findet".

Wiederholt betonte der Angeklagte, er habe fälschlicherweise vorgegeben, im Namen des IS gehandelt zu haben: "Ich bin eine unbekannte Person. Auf mich wird niemand aufmerksam." Indem er einen Bezug zum IS herstellte, habe er sich erhöhte Aufmerksamkeit erhofft.

Die Verhandlung wird am Donnerstag mit der Einvernahme der mitangeklagten Ehefrau fortgesetzt.

(APA7red)

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