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"Anfang vom Ende eines gemeinsamen Europa"

Für Aufregung und scharfe Kritik hat im Europäischen Parlament der gemeinsame Vorschlag Frankreichs und Deutschlands zur Reform der EU-Institutionen gesorgt.

Der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses und Mitglied des Verfassungskonvents, Elmar Brok, bezeichnete die Idee, künftig einen Europäischen Präsidenten von den Staats- und Regierungschefs für zwei ein halb Jahre wählen zu lassen, „ein Stück Fünfte Republik im Ansatz“ mit einem übermächtigen Präsidenten. Damit solle zugleich die bisher rotierende EU-Präsidentschaft von jeweils sechs Monaten abgeschafft werden, die kleine und große Staaten gleichberechtigt behandelte.

Beim gemeinsamen deutsch-französischen Treffen in Paris war der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder am 14. Jänner überraschend auf die Linie des französischen Präsidenten Jacques Chirac eingeschwenkt. Danach solle der künftige Präsident der EU-Kommission zwar vom Europaparlament gewählt werden, was in letzter Konsequenz, wenn auch ohne Vorschlagsrecht, schon jetzt der Fall ist, und der künftig ungleich mächtigere Präsident des Europäischen Rats jedoch vom Rat selbst mit qualifizierter Mehrheit. Vor Journalisten wies Elmar Brok darauf hin, dass das Parlament, selbst dann, wenn es den Kommissionspräsidenten offiziell wählen dürfe, dieser auch auf die Zustimmung des Rates angewiesen wäre.

Mit dieser Rückverlagerung der Machtebene auf die Regierungsebene aber würde das integrierte Europa auf eine Wirtschaftsgemeinschaft mit dem gemeinsamen Binnenmarkt reduziert, wobei die Kommission den Dompteur spielen dürfe. Den Europaabgeordneten verbliebe nur noch die Funktion von Stichwortgeber ohne Folgen auf die Politik. Das Ergebnis wäre nach Broks Analyse ein „Europa der Regierungen“ und der „Anfang vom Ende des gemeinsamen Europas“.

Da offenbar auch die Parteien der Berliner Regierungskoalition von Schröders plötzlichen Einschwenken auf die französische Position überrascht worden waren, war von Sozialisten und Grünen am Tag danach keine Stellungnahme zu erhalten. Aber auch für die drittgrößte Fraktion, die Liberalen eröffnet der Beschluss von Paris, der nun als offizieller deutsch-französischer Vorschlag in den Konvent eingebracht werden soll, mehr Fragen als er Antworten bringt. Wer solle ohne den rotierenden Vorsitz eines Landes die vielfältigen Fachministerräte verantwortlich leiten, fragte der britische Fraktionschef Graham Watson. Und bei allem Respekt vor den Leistungen der deutsch-französischen Zusammenarbeit in der Vergangenheit bleibe doch die Frage, wie in Zukunft einen institutionellen Konflikt zwischen zwei mächtigen Präsidenten und einem Europäischen Außenminister vermieden werden solle.

Ähnlich argumentierte für die Vereinigte Linke das Konventsmitglied Sylvia-Yvonne Kaufmann, die die notwenigen Klarstellungen über die künftigen Aufgaben, Kompetenzen und Zuständigkeiten des Ratspräsidenten vermisste. Wenn der Ratspräsident als eine eigenständige europäische Institution eingesetzt werden sollte, würde dies die Gefahr einer Renationalisierung europäischer Politik beinhalten, verbunden mit einer erheblichen Schwächung der Gemeinschaftsmethode.

Diese zentrale Frage, wer denn einen solchen Präsidenten kontrollieren solle, beschäftigte auch Brok: Weder die nationalen Parlamente noch das Europaparlament seien dazu in der Lage. Der außenpolitische Haushalt wäre nicht mehr dem Europäischen Parlament unterstellt. Der vorgesehene Der Außenminister wäre Vertreter des Rats mit Verbindungen zur Kommission, die aber unklar seien. Diesen unausgegorenen deutsch-französischen Vorstellungen hielt der Außenausschuss-Vorsitzende das Modell der europäischen Christdemokraten entgegen. Danach soll der Rat nach dem Feststehen der Ergebnisse der Europawahl einen Vorschlag für den Kommissionspräsidenten machen, der dann vom Europaparlament bestätigt werden müsse. Beim Rat unterscheidet Brok gemäß dem Modell des „Doppelhuts“ nach einem Legislativrat unter Beibehaltung des Rotationssystems und einem Exekutivrat. Ein Außenminister soll den Außenrat leiten, und zwar nach dem Vorbild des NATO-Generalsekretärs.

Über die normale parteipolitische Auseinandersetzung hinaus warf Brok dem deutschen Kanzler vor, ein Kanzler der Beliebigkeit zu sein. Im Lichte des 40jährigen Bestehens des Elysee-Vertrags gebe er die klassische Rolle Deutschlands als Verfechter eines föderalen Europas ab, zum einen als Interessenvertreter der kleinen Mitgliedstaaten, zum anderen hinsichtlich den Verständnisses von Parlamentarismus. Schröder sei nun schon zum vierten Mal von Chirac “über den Tisch gezogen“ worden, befürchtet Brok Schlimmes für die ohnehin nicht einheitliche Phalanx der kleinen Länder. Der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmusen habe die Vorschläge bereits angenommen, die an den Konvents-Präsidenten Valery Giscard d’Estaing übermittelt wurden.

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