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Amerikas „Feind Nummer 2“

Wenn die USA gegen den Irak in den Krieg ziehen, haben sie es nicht nur mit dem irakischen Militär als Feind zu tun, sondern auch mit dem Golfkriegssyndrom.

Die Regierung will alles daran setzen, ein Wiederauftauchen jenes Phänomens zu verhindern, das den Sieg im Golfkrieg von 1991 über Jahre überschattete und das Vertrauen der Soldaten in die politische und militärische Führung erschütterte. Amerikas Gegner Nummer 2 bei einer Irak-Invasion ist das Golfkriegssyndrom – eine vage Bezeichnung, die nie durch eine andere ersetzt wurde, weil man trotz zahlreicher Studien und Forschungsprojekte weiter im Dunkeln tappt. Nach wie vor ist völlig unklar, was die chronischen Beschwerden bei vielen Soldaten ausgelöst hat.

Es begann im Jahr 1992. Da berichteten Golfkriegsveteranen aus Indiana erstmals über verschiedene Symptome wie Müdigkeit, Kopf- und Gelenkschmerzen, Hautausschläge, Durchfall, Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Stimmungsschwankungen. Im Laufe der Monate und Jahre mehrten sich die Klagen.

Heute gehen Schätzungen dahin, dass bis zu 160.000 der insgesamt fast 700.000 bei der Operation „Desert Storm“ eingesetzten Männer und Frauen an dem geheimnisvollen Syndrom leiden könnten. Das ergibt sich aus Hochrechnungen auf der Basis einer Studie von 1995, bei der die Gesundheit von 15.000 Golfkriegsveteranen und mit der von 15.000 anderen Soldaten verglichen wurde. „Sind wir besorgt, dass sich das Syndrom wiederholt? Die Antwort lautet eindeutig ja“, zitiert die „Washington Post“ den Militär-Epidemiologen Robert DeFraites, der an den Untersuchungen der ersten Fälle beteiligt war.

Die Nachforschungen waren nur zögernd angelaufen – nach Meinung von Kritikern deshalb, weil die Regierung unangenehme Entdeckungen fürchtete. Bis heute sind Spekulationen über einen möglichen „Cover up“, eine Vertuschung, nicht völlig verstummt. Viele der betroffenen Veteranen, aber auch manche unabhängige Experten glauben, dass die Beschwerden durch ungeschützten Kontakt mit chemischen Kampfstoffen ausgelöst wurden. Diese Stoffe, so heißt es, könnten durch amerikanische Bombardements von irakischen Einrichtungen freigesetzt worden sein.

Auch abgereichertes Uran enthaltende US-Munition, bestimmte Impfstoffe, Wüstenstaub, Rauch, tropische Infektionen und Pestizide wurden im Laufe der Jahre als Auslöser in Betracht gezogen. 14 offizielle Kommissionen, darunter ein vom Präsidenten eingesetztes Gremium, schlossen indessen alle genannten Faktoren aus. Sie tippten vielmehr auf Stress – insbesondere Furcht vor biologischen oder chemischen Attacken – als Verursacher.

Mehrheitlich geht man in der wissenschaftlichen Welt mittlerweile davon aus, dass das Golfkriegssyndrom keine „einzigartige“ Erscheinung sei und keine besondere Ursache habe. Es sei vielmehr eine „alles umfassende“ Bezeichnung von diversen Problemen mit diversen Ursachen. Kurzum: Nach insgesamt 224 von der Regierung mitfinanzierten Studien gibt es weiter keine klare Antwort.

Einigkeit besteht darin, dass alles Mögliche getan werden müsse, um das Risiko eines neuen Syndroms zu minimieren. So werden bei einem Irak-Krieg Spezialisten Luft-, Wasser- und Erdproben an den Einsatzorten entnehmen. Sensoren zum Aufspüren chemischer Kampfstoffe, die im Golfkrieg von 1991 immer wieder falschen Alarm auslösten, sind modernisiert worden und können jetzt auch Dünste in größerer Entfernung entdecken. Anders als im Golfkrieg stehen auch fünf verschiedene Arten von Biodetektoren zu Verfügung, die Stoffe wie Milzbrand-Sporen oder Pest-Bakterien ausmachen können. Außerdem muss jeder Soldat vor der Entsendung in die Golfregion und gleich nach der Rückkehr einen „Gesundheitsfragebogen“ ausfüllen.

„Wir haben unsere Lektionen gelernt“, sagt der bei der US-Armee für biologische und chemische Verteidigung zuständige Brigadegeneral Stephen Reeves. „Und wir wenden unser Wissen an.“

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