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American Passages

Am Beginn steht die Wahlnacht 2008, als Barack Obama die Präsidentschaft errang, was sich in den ungläubig-freudigen Augen zahlreicher Afroamerikaner widerspiegelt. Von dieser Nacht ausgehend hat Filmemacherin Ruth Beckermann ein essayistisches Panoptikum der USA von heute erstellt. Alle Spielzeiten auf einen Blick

“American Passages” ist ein Film der Bewegung, der flüchtigen Begegnungen, die sich zu einem großen Mosaik fügen und ein Land zwischen Hoffnung und Kraft, zwischen Depression und Resignation zeigen. Ab Freitag (25. November) in den heimischen Kinos.

Beckermann verzichtet in ihrem ersten Filmwerk seit “Zorros Bar Mizwa” (2006) auf eine Narration im eigentlichen Sinne. Totalen der weiten Landschaft wechseln sich mit Detaileinstellungen der Gesprächspartner. Vor allem in ersterem erinnert “American Passages” ästhetisch an die großen amerikanischen Wim-Wenders-Epen.

Zugleich bleibt der Zuschauer unverortet in diesen Transitgegenden, die Beckermann in elf Bundesstaaten mit der Kamera festgehalten hat. Auch die konkreten Personen werden nicht durch Einblendungen punziert, sondern stehen für sich und darüber hinaus gleichsam als Archetypen für die verschiedenen Facetten der Amerikaner.

Da betont ein Anwalt, dass für seine Zunft nur gute oder schlechte Zeiten zum Geldverdienen optimal seien – nicht die Zwischenphasen. Da erinnert sich ein Irakveteran an seine Drogenprobleme, freut sich eine schwarze Richterin über den Aufstieg ihrer ethnischen Gruppe, lassen schwule Adoptivväter die Ankunft ihrer Zwillinge Revue passieren. Beckermann spricht mit Insassinnen eines Frauengefängnis, die kurz vor ihrer Entlassung stehen, ebenso wie mit dem alten Zuhälter am Spieltisch oder den Bewohnern von Sozialsiedlungen. Sie schildert die den meisten Europäern eher fremde Emphase gegenüber der Flagge und Hymne und die Verzweiflung angesichts der bevorstehenden Delogierung.

Beckermann zeigt letztlich keinen American Dream in Verklärung und nimmt zugleich Abstand von der typisch europäischen Perspektive, die USA melancholisch als kalten Ort des Geldes zu verklären. Die Filmemacherin nimmt sich dabei Zeit auf ihrer Assoziationsreise, hält etwa die Einstellung eines Flugzeugs am Himmel so lange, bis die einpropellerige Maschine aus dem Bildkader verschwunden ist. So kommt vieles, das man in der einen oder anderen Form bereits aus anderen Dokumentarfilmen kennt, bei Beckermann ruhiger, lakonischer, essayistischer daher.

Mit “American Passages” hat die Regisseurin einen amerikanischen Quilt gestrickt, das Mosaik eines Kontinents erarbeitet, dessen einzelnen Figuren wie kleine Punkte aus der Ferne betrachtet ein stringentes Gesamtbild ergeben.

(APA)

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