Es ist ein großer Schritt für die Umweltminister und die UNO, aber wohl nur ein kleiner Schritt für die Menschheit: Morgen, Mittwoch, 16. Februar 2005, tritt das Klimaschutzabkommen von Kyoto in Kraft. In dem Protokoll sind zwar weltweit gültige Obergrenzen für den Ausstoß von Treibhausgasen festgelegt, die für den Klimawandel verantwortlich gemacht werden, allen voran Kohlendioxid (CO2). Allerdings drücken sich die USA (der weltweit größte Emittent von CO2) und mit ihr assoziierte Staaten wie Australien vor bindenden Reduktionszielen – und jene Nationen, die sich per Unterschrift und Ratifizierung zu Emissionsverminderungen verpflichten haben, werden diese kaum im versprochenen Ausmaß erreichen.
Rund 250 internationale Abkommen wurden zum Schutz der Umwelt bisher geschlossen, grundsätzlich ist keines davon so restriktiv und bindend wie das Kyoto-Protokoll. Mit dem Vertrag einigte sich die internationale Gemeinschaft vor mehr als sieben Jahren erstmals auf verbindliche Ziele und Maßnahmen für den Klimaschutz. Ursprünglich verpflichteten sich darin 38 Industrieländer, bis zum Zeitraum von 2008 bis 2012 ihre gemeinsamen Emissionen der wichtigsten Treibhausgase um durchschnittlich 5,2 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, haben die Länder neben der Reduzierung ihrer eigenen Emissionen drei weitere Möglichkeiten: Zum einen können sie weltweit mit Emissionsrechten handeln, zum anderen einschlägige Technologien entwickeln und weitergeben – oder sie setzen geeignete Maßnahmen in Entwicklungsländern um. Dennoch wird heute allgemein bloß mit einer Senkung um zwei Prozent gerechnet.
Denn die Industriestaaten wollen weiter Strom erzeugen, heizen, produzieren und Auto fahren, die Schwellen- und Entwicklungsländer wollen in allen Feldern aufholen. Und alle blasen jährlich Milliarden Tonnen Kohlendioxid und andere Klimakiller in die Luft. Allein 2003 nahm der Ausstoß von Kohlendioxid weltweit um vier Prozent zu und liegt nun fast 20 Prozent höher als 1990, wie aus einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hervorgeht. Österreich ist da gut im Trend: Die Alpenrepublik, die sich bis 2008-12 zu einer Reduktion im Ausmaß von 13 Prozent verpflichtet hatte, lag laut Umweltbundesamt 2003 um 16,6 Prozent über dem Zielwert. An der Spitze der Industrieländer befinden sich dabei nach UN-Daten Spanien und Portugal mit Wachstumsraten von über 40 Prozent.
Das Protokoll wurde am 12. Dezember 1997 von 159 Ländern im japanischen Kyoto angenommen und im Anschluss von 84 Ländern unterzeichnet, zu denen auch die USA gehörten. Ratifiziert wurde es von den USA jedoch nie. Im März 2001 widerrief Präsident George W. Bush sogar ausdrücklich die Unterschrift unter dem Abkommen, da die Verpflichtungen für die USA zu kostspielig seien. Damit die Übereinkunft nun in Kraft treten kann, müssen ihr zumindest 55 jener Industrieländer zugestimmt haben, die im Jahr 1990 für 55 Prozent des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen verantwortlich waren. Da zu dem Zeitpunkt aber der größte Teil der Emissionen auf das Konto der USA ging, war ihr offizieller Ausstieg ein schwerer Schlag – auch wenn 141 Länder zwischenzeitlich das Protokoll ratifiziert hatten. Erst mit dem formellen Beitritt Russlands am 18. November wurde das 55 Prozent-Quorum des Vertrags erreicht.
Für die USA ist “Kyoto” ein Schimpfwort
Die USA, die für ein Viertel des globalen Ausstoßes von Kohlendioxid verantwortlich sind, schränken durch ihre Verweigerung die Wirksamkeit des Abkommens drastisch ein. Und trotz der Charmeoffensive, die US-Präsident George W. Bush zu Beginn seiner zweiten Amtszeit gegenüber den Europäern gestartet hat, gibt es keine Anzeichen dafür, dass er künftig bereit sein könnte, ihnen beim Klimaschutz entgegen zu kommen. Seine Wiederwahl versteht Bush als Mandat auch für seine Klimapolitik.
Die Wahl habe die umweltpolitische Philosophie und Agenda der Bush-Regierung klar bestätigt, jubelte bereits im November der damalige Chef der Umweltbehörde EPA, Michael Leavitt, der zum Gesundheitsminister befördert wurde. Gemäß dieser Philosophie ist Kyoto vor allem ein Instrumentarium, das die USA im globalen Wettbewerb schwer benachteiligen würde: Besonders kritisiert Bush, dass das Abkommen nur die Industriestaaten zum Abbau der Treibhausgase verpflichtet, nicht aber aufstrebende Wirtschaftsmächte wie China und Indien. Die Regierung hat das Horrorszenario ausgemalt, dass Kyoto die US-Wirtschaft rund 400 Milliarden Dollar (313 Milliarden Euro) und 4,9 Millionen Jobs kosten würde.
Bush setzt deshalb weiter ganz auf freiwillige Initiativen der Industrie und steuerliche Anreize für den Klimaschutz. Als Zielvorgabe hat er genannt, dass die Intensität der Treibhausgasemissionen bis 2012 um 18 Prozent gegenüber 2002 verringert wird. Mit der Intensität hat Bush eine Berechnungsformel eingeführt, die die Emissionen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt setzt. Angesichts des erwarteten Wachstums in den USA bedeutet die Formel nichts anderes, als dass der Treibhausgas-Ausstoß in absoluten Zahlen weiter kräftig steigen darf – Umweltschützer sprechen deshalb von einem Rechentrick.
Die Umweltorganisation World Resources Institute in Washington schätzt, dass bei Fortsetzung der derzeitigen Politik der Treibhausgas-Ausstoß in den USA bis 2012 in absoluten Zahlen um rund 14 Prozent gegenüber 2002 zunehmen wird, gegenüber 1990 um etwa 30 Prozent. Kyoto würde die USA dagegen verpflichten, ihre Emissionen bis 2012 um sieben Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken.
Obwohl sogar das Pentagon vor einem Jahr in einer Aufsehen erregenden Studie den Klimawandel als potenziell größeres Sicherheitsrisiko als den Terrorismus bewertet hatte, sieht Bush weiter keinen akuten Handlungsbedarf: Ein Gesetz zum Schutz der Luft, das er derzeit im Kongress durchzusetzen versucht, kritisieren Umweltverbände als Rückschritt. Auch enthält der Clear Skies Act keine Maßnahmen gegen Kohlendioxid, das als das schädlichste der Treibhausgase gilt.
Dennoch gibt es in den USA beim Klimaschutz durchaus Fortschritte. Die wichtigsten Initiativen gehen derzeit von den Bundesstaaten aus. Fast 40 der 50 Staaten haben ihre eigenen Klimaschutzpläne entwickelt, in fast 20 gibt es strikte Vorgaben für den Einsatz erneuerbarer Energien. Im Nordosten und an der Westküste arbeitet insgesamt ein Dutzend Staaten an gemeinsamen Programmen zur Treibhausgasreduktion. Ein Pionierstaat beim Klimaschutz ist Kalifornien: Der bevölkerungsreichste Staat der USA hat der Automobilindustrie auferlegt, ab 2009 Modelle mit stark gesenkten Treibhausgaswerten auf den Markt zu bringen.
Das US Climate Action Network sieht deshalb Bush zunehmend nicht nur im Ausland, sondern auch daheim isoliert: Da ein Kurswandel des Präsidenten nicht zu erwarten sei, werde der Rest des Landes für den Klimaschutz weiter um das Weiße Haus herumarbeiten müssen, meint das Aktionsbündnis. Auch Alden Meyer von der Vereinigung Besorgter Wissenschafter sieht trotz des wachsenden Drucks aus den Bundesstaaten wenig Hoffnung für eine neue Klimapolitik in Washington – nicht zuletzt wegen des starken Einflusses rechtskonservativer Kreise auf Bush: Kyoto sei für diese Gruppierungen ein Schimpfwort, klagt er.