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Algerien: Referendum über Aussöhnung

Mit einer Volksabstimmung will der algerische Präsident Bouteflika einen Schlussstrich unter mehr als zehn Jahre Bürgerkrieg ziehen: Die Wähler stimmen am Donnerstag über seinen Plan für eine nationale Aussöhnung ab.

Die Algerier haben am Donnerstag über die Charta „für Frieden und Versöhnung“ abgestimmt. Nach dem Willen von Präsident Abdelaziz Bouteflika sollen damit die Kämpfe mit bewaffneten Islamisten, die Massaker an Zivilisten und das „Verschwinden“ von Regierungsgegnern der Vergangenheit angehören. Zugleich will Bouteflika den Grundstein für einen wirtschaftlichen Aufschwung legen. Opposition und Menschenrechtler kritisieren vor allem ein weit reichendes Amnestiegesetz. Die großen Oppositionsparteien FFS (Front der Sozialistischen Kräfte) und RCD (Sammlungsbewegung für Kultur und Demokratie) riefen zum Abstimmungsboykott auf.

Die „Charta für Frieden und nationale Versöhnung“ soll das Ende der politischen Gewalt besiegeln, der seit 1992 offiziellen Schätzungen zufolge etwa 150.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Die Opposition argwöhnt dagegen, Bouteflika wolle die Strafverfolgung von Folterpolizisten verhindern und seine eigene Macht ausbauen.

Vor allem die „Schlussstrich-Klausel“ der Charta stößt auf Kritik. Sie sieht einerseits eine „Beendigung aller Strafverfahren“ für all jene Islamisten vor, die „ihre bewaffneten Aktivitäten eingestellt und sich den Behörden gestellt haben“. Zugleich schließt sie jegliche Verantwortung des Staates für das „Verschwinden“ tausender Regierungsgegner kategorisch aus.

Dem Staatschef räumt die Charta weit gehende Interpretationsbefugnisse für die Versöhnungspolitik ein. In dem Text heißt es: „Das algerische Volk beauftragt den Präsidenten, alle Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer Umsetzung dieser Bestimmungen führen.“ Menschenrechter kritisieren, dass gewaltsame Übergriffe von Sicherheitskräften somit nie gesühnt werden könnten, zudem fürchten sie einen unkontrollierbaren Machtzuwachs für Bouteflika.

Bouteflika wies die Vorwürfe zurück. Er wolle die Kräfte des verarmten, aber ölreichen Landes für den wirtschaftlichen Wiederaufbau bündeln. Als Argument für ein Ja zu seiner Charta führte er einen gigantischen Konjunkturplan an: In einem Fünf-Jahres-Plan von 2005 bis 2009 will er 4200 Milliarden Dinar (45 Milliarden Euro) in Algerien investieren. Davon verspricht er sich Folgeinvestitionen von noch einmal rund 80 Milliarden Euro.

Für ein Land, mit dem es seit der blutig erkämpften Unabhängigkeit von Frankreich 1962 infolge sozialistischer Experimente, Bevölkerungsexplosion und interner Kämpfe wirtschaftlich stetig bergab ging, sind das gigantische Zahlen. Nach offizieller Statistik sind knapp 18 Prozent der Algerier arbeitslos, fast drei Viertel der Arbeitslosen zählen zur großen Gruppe der Unter-30-Jährigen.

Bouteflika pries die Charta im Vorfeld als logische Folge der Versöhnungspolitik an, die er seit seinem Amtsantritt 1999 verfolgt. Die Gewalt hält jedoch an, wenn sie auch in den vergangenen Jahren abgenommen hat. Seit Anfang September wurden rund fünfzig Menschen in Algerien getötet. Der Bürgerkrieg hatte nach den Parlamentswahlen 1992 begonnen. Damals errang die Islamische Heilsfront (FIS) einen triumphalen Sieg. Die Regierung annullierte daraufhin die Wahl und verbot die FIS.

Während viele Flügel der FIS auf ein Versöhnungsangebot der algerischen Regierung von 1999 eingingen, kämpft die Salafisten-Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC) bis heute für einen gewaltsamen Sturz der Regierung und die Errichtung eines islamistischen Staats. „Wir sind für Frieden, aber zuerst wollen wir die Wahrheit“, sagte Malika Silet zu Bouteflikas Versöhnungsplan. Ihr Bruder ist nach Angaben der 36-Jährigen seit März 1997 verschwunden, nachdem er zusammen mit weiteren Männern in Algier von der Polizei abgeführt wurde.

Keltoume Hamideche wollte dagegen für den Versöhnungsplan stimmen, auch wenn sie sich mit der geplanten Amnestie nicht besonders wohl fühlt. „Wenn wir nichts riskieren, haben wir gar nichts“, meinte sie. Zu dem Referendum waren rund 18,3 Millionen Stimmberechtigte aufgerufen. Für die im Ausland lebenden über 900.000 Algerier begann die Abstimmung bereits am Samstag. Die Beteiligung lag am Donnerstagvormittag (Ortszeit, 11.00 Uhr MESZ) bei 17,1 Prozent.

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