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ALES Jahrestagung in Wien: Drogensucht soll Männererkrankung sein

Am Montag fand die ALES-Tagung zur Drogenproblematik statt. / Symbolbild
Am Montag fand die ALES-Tagung zur Drogenproblematik statt. / Symbolbild ©APA/AFP/THOMAS SAMSON
Das Austrian Center for Law Enforcement Sciences (ALES) der Universität Wien hat bei seiner Jahrestagung am Montag in Wien den Suchtmittelmissbrauch thematisiert. So soll laut Psychologin Barbara Gegenhuber die "Sucht eine Männererkrankung" sein. Immerhin sind zwei Drittel bis drei Viertel der Betroffenen sind männlich.

Die Expertin und Geschäftsführerin des Therapiezentrums Schweizer Haus in Wien-Penzing betonte, dass Missbrauch oder schädlicher Gebrauch zwar noch keine Abhängigkeit bedeuten, es jedoch fließende Übergänge zu dieser gibt, wenn es zunehmend schwieriger werde, sich dem Konsum zu entziehen. Gegenhuber wies darauf hin, dass es in Österreich rund 30.000 Personen gibt, die Opioide, also vor allem Heroin, auf risikoreiche Weise konsumieren, jedoch rund 340.000 alkoholabhängig sind und 100.000 süchtig nach Medikamenten: “Es gibt weit weniger Drogenabhängige als andere Abhängige in Österreich”, der Unterschied mache aber die höhere Sterberate der Opiatabhängigen aus, rund sieben Prozent hätten zudem eine HIV-Infektion. Bei dieser Personengruppe sind 75 Prozent männlich, jedoch zwei Drittel in Behandlung, was rund 17.000 Opiod-Substitutionstherapien bedeute. Diese sei inzwischen die Methode der ersten Wahl bei diagnostizierter Opiatabhängigkeit, sagte Gegenhuber. Die abstinenzorientierte Entzugsbehandlung gilt inzwischen als überholt.

Konsumenten leiden an Folgen von Drogenkonsum

“Konsumenten leiden nicht an dem Konsum der Substanz an sich, sondern an den Folgen”, so Gegenhuber. Bei Personen, die etwa an sozialer Angst leiden und diese mit Drogen dämpfen, fällt die Überzeugungsarbeit für eine Therapie aber eher schwer, schilderte die klinische Psychologin ihre Erfahrung. Die Klientel im WienerTherapiezentrum macht jedoch größtenteils eine auferlegte stationäre und ambulante Therapie im Zuge des Paragrafen 39 des Suchtmittelgesetzes. Bei der Kriminalität ist der Unterschied zwischen Freiwilligen und solchen, die mit Weisung kommen nicht wirklich vorhanden: Neun von zehn Personen haben eine kriminelle Handlung gesetzt, der eine Teil wurde einfach erwischt.

Monika Stempkowski vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Uni Wienerläuterte anschließend die Folgen der Entkriminalisierung am Beispiel von Portugal, wo Konsum und Erwerb von Drogen für den Eigenbedarf aus dem Strafrecht 2001 entfernt wurde. Anlass war der zunehmende Konsum während der 1980er- und 1990er-Jahre mit 100.000 problematischen Konsumenten, die Großteil Heroin intravenös konsumierten, was 1999 die höchste HIV-Rate in Europa samt einem starken Anstieg an Drogentoten bedeutete – die Hälfte davon starb in einem Alter unter 29 Jahren.

Drogentote gingen bis 2012 stark zurück

Während das Gesetz 30/2000 Konsum, Erwerb und Besitz von Drogen zu einem Verwaltungsstraftatbestand machte, wurden mit dem Gesetz 183/2001 Begleitmaßnahmen wie Behandlung, Prävention und “Harm Reduction” gesetzt. Das Resultat war eindeutig: Ab dem Jahr 2002 ging die Zahl der Diagnosen bei HIV oder Aids bei Drogenkonsumenten massiv zurück, Stempkowski nannte Spritzentausch und die Präventionsprogramm als mögliche Erklärung. Die Zahl der Drogentoten ging von 78 im Jahr 2001 auf 16 im Jahr 2012 zurück- und auch der gesamte Konsum verringerte sich in diesem Zeitraum, wie auch die Folgekosten des Drogenkonsum zurückgegangen sind.

Keine signifikanten Änderungen ergaben sich aus der Legalisierung von Cannabis in den US-Bundesstaaten Colorado und Washington State. Im letztgenannten Bundesstaat ist die Legalisierung seit 2014 in Kraft, das Konsumverhalten der Jugendlichen war infolge stabil bis rückläufig. Jugendliche wurden auch befragt, wie leicht der Erwerb von Cannabis ist, und es stellte sich heraus, dass der Zugang für sie nach dem Inkrafttreten schwieriger wurde, erläuterte die Expertin. Bei den Erwachsenen wurde indes erst ein Anstieg in der Lebenszeitprävalenz festgestellt, der dann wieder rückläufig wurde. Stempkowski wies jedoch darauf hin, dass es sich hier jeweils um noch sehr kurzzeitige Untersuchungszeiträume handle.

Darknethandel in Österreich boomt

Wie über das Darknet auch der ländliche Raum mit Drogen geschwemmt wird, hat Robert Taferner vom Bundeskriminalamt bei der Tagung des Austrian Center for Law Enforcement Sciences (ALES) am Montag unter anderem erläutert. Im Gespräch mit der APA schilderte der Experte, wie durch diesen Onlinehandel auch unbedarfte “Neueinsteiger” oft schwerste Tatbestände in der Drogenkriminalität setzen.Wien. Die Suchtmittelkriminalität im Darknet ist seit 2011, als sich der erste große Marktplatz etabliert hat, mittlerweile auch in hierzulande ein fester Bestandteil. Österreich ist vom Online-Suchtmittelhandel jedenfalls extrem stark betroffen. “Im internationalen Vergleich sind wir unter den Top drei. Wir hatten einige Großsicherstellungen auf einem internationalen Flughafen im Ausland, wo 86 Nationen betroffen waren und Österreich von der Anzahl der Empfänger her auf Platz zwei hinter den USA war. Wir sehen das schon seit einigen Jahren, bei jeder größeren internationalen Amtshandlung ist USA, Deutschland, Österreich die Reihenfolge”, man spreche hier von der Menge, nicht von Prozent. Eine mögliche Erklärung ist, dass Österreich ein Binnenland, aber kein Produktions- und Herstellerland ist. “Auch sind die böhmischen, also synthetischen Küchen nicht so etabliert. Das könnte eine Erklärung sein, dass es am normalen Weg nicht so einfach funktioniert wie in anderen Ländern.

“Man hat keine ausgeklügelte Schmuggelroute mehr, man braucht keine Vertrauensperson mehr, keinen Informanten, sondern kann direkt bei der Quelle im Herstellerland Kontakt aufnehmen”, schilderte der Experte die neuen Möglichkeiten. Diese unterscheiden sich immens von der Drogenkriminalität auf der Straße, wo man normalerweise 150 Gramm einer Substanz – abgesehen von Cannabis – nicht einfach so erwerben könne. Im Darknet könne man hingegen ein Viertelkilogramm Amphetamin einfach per Mausklick bestellen, “und bekommt das als unbedarfter Nicht-Krimineller nach Hause geliefert. In einem ländlichen Gebiet sei man mit einer derartigen Menge oder 500 Stück Ecstasy “sehr gut dabei, und das verkauft sich ja irrsinnig gut”, erläutert der Kriminalbeamte.

Drogen im Onlinehandel

So seien Fahrten von Linz oder Graz nach Wien nicht mehr notwendig, “das fehlt jetzt weg, weil es direkt unvorstellbare Mengen online gibt.” Zusätzlich entfalle der Kontakt mit anderen Kriminellen, wodurch die Drogendelikte sich nun durch alle Schichten ziehen, vom klassischen Drogenhändler, der immer schon Suchtmittel verkauft hat und das Darknet einfach dazu entdeckt hat, bis zum “Neueinsteiger”, der durch die Konstanten großen Mengen, die da vorhanden sind, sofort in die Schwerstkriminalität driftet, ohne dass ihm das wirklich bewusst ist. “Die sind dann ganz überrumpelt, wenn dann die Polizei bei ihnen vorbei kommt und realisieren dann frühestens in der U-Haft, in was sie sich da reinbegeben haben”, so Taferner. Nämlich in schwerste Tatbestände der Drogenkriminalität, weil Grenzwerte da mehrfach überschritten wurden.

Zwischen Straßen- und Onlinehandel wird es zudem immer schwieriger zu trennen, denn nach der intensiven Beschäftigung in den vergangenen Jahren gebe es die klare Erkenntnis, das der Onlinehandel direkt den Straßenhandel beeinflusst und beides miteinander verschmilzt. Die Sicherstellungszahlen sind laut Taferner immens hoch, vor allem die Postsendung, die Suchtmittel beinhalten. Da hat man mittlerweile festgestellt, dass es ausschließlich Bestellungen aus dem Darknet sind und die Quantität ist signifikant steigend: “Wir haben da in der Regel 100, 150 bis zu 200 Gramm in kurzen Abständen an dieselben Empfänger, und das sind dann natürlich Mengen, die nicht für den Eigenbedarf gedacht sind, sondern direkt am Straßenhandel verkauft wird.”

In Österreich ergebe sich das Phänomen, dass selbst in ganz ländlichen Regionen große Mengen an Suchtmittel durch den Onlinehandel verfügbar gemacht werden und so Drogenszenen entstehen, wo vorher keine waren. “Einer bestellt online und dann wandert das Suchtgift direkt in den Straßenhandel. Das dann auseinanderzudividieren, sei schwer bis schlicht unmöglich, denn “spätestens der zweite Subhändler oder Abnehmer weiß ja gar nicht mehr, woher das ursprünglich herkommt.”

APA/red

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