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Akademietheater: Ein affektierter "Othello" wird wahnsinnig

Joachim Meyerhoff (l.) als Othello und Edgar Selge als Jago
Joachim Meyerhoff (l.) als Othello und Edgar Selge als Jago ©APA
Schwärzer als in einer mondlosen Nacht ist es im Akademietheater, wenn Jago und Rodrigo ihre Intrige gegen Othello aussinnen. Jan Bosse inszenierte mit Joachim Meyerhoff in der Titelrolle einen beklemmenden, modernen Shakespeare.

Sogar die Notbeleuchtung wird von den Billeteuren verdeckt, die minutenlange Dunkelheit, die nur von den Stimmen von Edgar Selge und André Meyer durchdrungen wird, scheint schier endlos und weckt jene Beklemmung, zu der Regisseur Jan Bosse dreieinhalb Stunden später wieder zurückkehren wird. Dazwischen liegt eine schicke, von großartigen Schauspielern getragene, in der zweiten Hälfte leider etwas langatmige Deutung der Shakespeare-Tragödie, die den ohnehin kraftvollen Burgtheater-Spielplan noch um einiges bereichert.

Als das Licht angeht, lehnt Othello lässig an der schwarzen Wellblechwand, die Venedig symbolisiert. Bosse hat sich in seiner Inszenierung eindeutig für die optische Sichtbarkeit des Mohren entschieden: Dunkelschwarz und deckend hat man Joachim Meyerhoff angemalt, in seinem schwarzen Designer-Anzug und einer schweren Golduhr wirkt er wie ein affektiertes Model, dem die Modewelt zur Füßen liegt. Mit tiefer Stimme spricht er betont langsam seinen Part. Der Vorwurf, Desdemona mit Hilfe illegaler Substanzen für sich gewonnen zu haben, kostet ihn lediglich ein Schulterzucken. Die Braut (im kleinen Weißen mit überdimensionalem Schleier: Katharina Lorenz) tritt vor und schleudert ihrem Vater Brabantio (Branko Samarovski) postpubertären Trotz entgegen. Ein junges Ehepaar, das sich seiner Coolness bewusst ist.

Da fliegen auch schon wieder die Türen zum Zuschauerraum auf, mannshohe Ventilatoren bringen den Sturm, die Wellblechkonstruktion bricht hervorragend choreographiert in sich zusammen und gibt das Schlachtfeld Zypern frei: Bühnenbildner Stéphane Laimé hat hier ganze Arbeit geleistet: Eine Schneedüne rechts hinten, aufgeschüttete Erde und ein offenes Grab links, Matratzen, Bäume, Müll, eine Hängematte und sogar ein am Boden herumliegendes, funktionstüchtiges Waschbecken bestimmen die nun folgenden drei Stunden, in denen der überhebliche, siegessichere Othello zum winselnden, vor Eifersucht wahnsinnigen Ehemann wird. Jener Mann, der ihn mit Hilfe seiner Intrigen stürzt, ist ein schmieriger, hinterlistiger, gewalttätiger Edgar Selge, der seinem Jago eine gehörige Portion Fremdenhass verleiht: “Ich hasse diesen Schwarzen, ich hasse diesen Schwarzen, ich hasse diesen Schwarzen”, heißt es gleich zu Beginn.

Männer wie Frauen bestreiten das stark gekürzte und in einer zeitgemäßen, prägnanten Übersetzung vorliegende Stück größtenteils in schlammgrüner Militärkleidung, die Damen wechseln immer wieder zu edlen Kleidern, wenn es gilt, die Männer von ihren Anliegen zu überzeugen (Kostüme: Kathrin Plath). Hier laufen Katharina Lorenz, die schon in “Faust 1” als Gretchen begeisterte, und Caroline Peters als entrückte, dem Alkohol nicht abgeneigte Emilia zur Hochform auf. Mit viel Fingerspitzengefühl und noch mehr Beinfreiheit führen sie den großen Krieg ihrer Männer im Kleinen im Schlafzimmer. Dabei wirken sie ebenso wie ihre Gatten in dieser über 400 Jahre alten Shakespeare-Tragödie ausnahmslos modern, emanzipiert und selbstbewusst. An diesem Punkt schießt Jan Bosse nach der Pause leider einmal ausgedehnt übers Ziel hinaus: In goldenen Roben sitzen Desdemona, Emilia und die über weite Strecken stumme Geliebte Cassios (Adina Vetter als Bianca) auf der Hängematte und grölen John Lennons “Woman is the Nigger of the World”. Eine Szene, die man sich sparen hätte können.

Überhaupt läuft die spannungsgeladene Präzision der ersten Hälfte immer wieder aus dem Ruder. Das tödliche Aufeinandertreffen zwischen Cassio und Rodrigo geschieht im Off. Überhaupt bleibt Cassio in Bosses “Othello” ziemlich blass, Markus Meyer weiß den schüchternen, farblosen Leutnant jedoch würdig zu spielen.

Erst das Finale kann mit seinen drastischen, dunklen Bildern trotz seiner Länge wieder überzeugen. Meyerhoff entzündet vor der Hängematte, in der seine Frau auf ihn wartet, ein kleines Lagerfeuer, dem Mord geht minutenlanges Kopulieren voraus, bis die nackte Desdemona vom ebenfalls splitternackten Othello soviel schwarze Farbe abbekommen hat, dass sie wie eine verkohlte Leiche aussieht. Als Othello nach dem Erstickungsversuch dann auch noch ordentlich zusticht und die fürchterlich zugerichtete Desdemona aus der Hängematte purzelt, geht ein Raunen des Grauens durch den Zuschauersaal, das noch anschwillt, wenn sich der Gestürzte seiner falschen Tat bewusst so lange ins eigene Fleisch schneidet, bis auch er blutüberströmt liegenbleibt.

Das Publikum quittierte diese oft unterhaltsame, meist flotte und im Gesamtblick hervorragende Inszenierung mit geteiltem Echo, statt Buh-Rufen gab es jedoch nur demonstratives Saal-Verlassen. Der verbleibende Rest bejubelte vor allem die Schauspielerriege, die mit Leistungen wie diesen seinem neuen Direktor Matthias Hartmann bestimmt Freude macht.

Othello” von William Shakespeare im Akademietheater
Regie: Jan Bosse, Bühnenbild: Stephane Laime, Kostüme: Kathrin Plath.
Nächste Vorstellungen. 24. und 29.1., 4., 6., 10. und 23. 2.
Informationen und Karten unter http://www.burgtheater.at

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