Akademie-Rektorin Eva Blimlinger im Interview: "Immer gleich Panik um Geld"

Sie ist nicht nur Rektorin der Akademie der Bildenden Künste in Wien, sondern zudem auch wissenschaftliche Koordinatorin der Kommission für Provenienzforschung, Mitglied des Kunstrückgabebeirates und der Steuerungsgruppe für das Haus der Geschichte. Nicht nur deshalb gab es für ein Interview mit Eva Blimlinger zum Jahreswechsel viele Themen.
Eva Blimlinger im Interview
APA: Frau Rektorin, eine neue Publikation und Datenbank zeigt starke personelle Kontinuitäten an der Akademie vom Ständestaat zum Nationalsozialismus auf. Hat Sie das Resultat überrascht?
Eva Blimlinger: In dieser Vehemenz schon. Man hat immer gewusst, dass die Akademie keine Hochburg von Modernität und Progressivität war. Aber dass es derartig viele illegale Nazis gegeben hat, dass man aufgrund der Nürnberger Gesetze de facto niemanden als jüdisch entlassen musste, weil man schon vorher niemanden hineingelassen hat – das hat mich schon überrascht.
Besonderes Aufsehen hat der Fall Maria Lassnig erregt. Es hieß immer, sie sei als Studentin wegen entarteter Kunst von der Akademie gewiesen worden, und sie hat das in Interviews auch nicht in Abrede gestellt. Hat man an der Akademie immer schon gewusst, dass das nicht gestimmt hat?
Als sie gestorben ist, habe ich Eva Schober, die Leiterin unseres Archivs, gebeten, mir den Studienakt von Maria Lassnig herauszusuchen. Meine Erwartung war, dass es Belege für irgendein Verfahren gibt, aufgrund dessen sie 1943 hinausgeworfen wurde. Stattdessen gab es Belege für Gaustipendien und ein Reisestipendium. Sehr interessant! Aber auch sehr irritierend. Sie war einfach eine ganz normale Studentin, die wie andere gute Studenten auch diese Auszeichnungen gekriegt hat. Umso mehr hat mich das nachträgliche Narrativ der Entartung und des Rauswurfs irritiert. Es wäre ja keine Notwendigkeit gewesen, das anders darzustellen. Deswegen zu sagen “Lassnig, die Nazikünstlerin!” ist ja ein Unsinn. Bei uns kann aber keine inhaltliche Referenz zu ihrer studentischen Arbeit hergestellt werden, weil wir diese ganzen Arbeiten ja nicht haben. Ich weiß nicht, ob sich in der neu gegründeten Stiftung irgendwelche Frühwerke befinden, wo man sagen könnte, das wäre Nazikunst. Ich glaube das nicht. Aber es wäre eine sehr interessante Untersuchung.
Sehen Sie da die Lassnig-Stiftung am Zug?
Ich glaube, man sollte sich die künstlerische Genese anschauen und nebstbei untersuchen, wie es zu diesem Narrativ gekommen ist. Das ändert natürlich nichts an ihrer Bedeutung, aber wenn es so eine Stiftung gibt, muss sie sich damit beschäftigen und sich auch dazu verhalten. Es geht dabei nicht um den üblichen Empörungsgestus mit para-denunziatorischem Charakter. Aber für eine kunsthistorische wie biografische Betrachtung gibt es eine wissenschaftliche Verpflichtung, das nachzuprüfen.
Bleiben wir in dieser Zeitepoche. Sie sind ja auch wissenschaftliche Koordinatorin der Kommission für Provenienzforschung. Werden da aus Ihrer Sicht noch wesentliche Akten neu auf den Tisch kommen?
In einigen Bundesmuseen wird im nächsten und übernächsten Jahr die Provenienzforschung von der Systematik her abgeschlossen. Wir nennen das “vorläufige Schlussberichte”, weil ja immer wieder fehlende Akten auftauchen können. Als wir mit der Historikerkommission begonnen haben, waren große Bestände wie die Akten vom Ersten und Zweiten Rückstellungsgesetz unbekannt. Die hat man dann in der Wollzeile gefunden, als das Finanzamt dort ausgezogen ist und der zuständige Hausarbeiter gesagt hat: Da gibt es noch etwas im Keller. Das waren Zehntausende Akten! Aber es gibt Museen wie das Theatermuseum oder das Technische Museum, wo die Bestände derartig kleinteilig sind, dass die Provenienzforschung noch jahrelang gehen wird. Ob darunter noch spektakuläre Fälle sein könnten, kann man nie sagen.
In Ihrem Hauptjob als Akademie-Rektorin haben Sie unlängst die Leistungsvereinbarung mit dem Ministerium unter Dach und Fach gebracht.
Ja, die Vorbereitungen und Verhandlungen dafür laufen ein ganzes Jahr. Dieser Prozess könnte optimiert werden, denn es ist eine Basarsituation, die für beide Seiten entwürdigend ist. Es ist ja auch eine ziemliche Inszenierung des Ganzen, bei der wahnsinnig viel Zeit draufgeht.
Aber mit der grundlegenden Situation, quasi zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig, hat man sich abgefunden?
Natürlich nicht, aber man muss halt schauen, wie man das Leben der Lehrenden, Studierenden und des Verwaltungspersonals so gestalten kann, dass es nicht immer am Limit ist, und dass ich das Personal halten kann. Drittmittel sind für Kunstuniversitäten viel schwieriger zu bekommen als für wissenschaftliche Universitäten. Das größte Problem ist die Frage der Gebäude. Die meisten Universitätsgebäude gehören ja der BIG. Das Wissenschaftsministerium kriegt das Geld vom Finanzministerium, wir kriegen das Geld vom Wissenschaftsministerium, zahlen Miete an die BIG, und die BIG führt das an das Wirtschaftsministerium ab, das es wiederum an das Finanzministerium weiterreicht – das ist ökonomisch und politisch ein Blödsinn. Von diesem Kreislauf profitieren letztlich nur die Banken. Auch das Argument Kostenwahrheit ist ein ökonomischer Unsinn. Wie will ich bei der Akademie am Schillerplatz einen Mietzins festlegen? Was soll hier ortsüblich sein? Ein anderes Beispiel: Weil wir einen kleinen Studiensaal dazubekommen, müssten wir den gesamten Mietvertrag neu vergebühren – das kostet 370.000 Euro. Das ist verrückt. Die Frage der Gebäude müsste dringend ganz anders gelöst werden, auch im Interesse der Universitätsbudgets.
Vor einem Jahr haben Sie vorgeschlagen, die Wiener Festwochen zu teilen und im Herbst gemeinsam mit der Art Week eine Bildende-Kunst-Sparte zu etablieren. Hat sich seither etwas getan?
Die alte Intendanz hat das klar abgelehnt. Bildende Kunst findet in ihrer ganzen Breite, wenn man das in einer Art Festivalstruktur denkt, im Herbst statt: Das sind die beiden Messen, vor allem aber die Art Week, die mit hoher internationaler Beteiligung stattfindet – also sicher den Festwochen vergleichbar ist. Ich denke, dass eine Profilierung von Bereichen sinnvoll ist, denn erst dann funktioniert das Spartenübergreifende, das auch von der Politik gewünscht wird. Spartenübergreifend kann ja nicht heißen, dass ich eine Mantsche aus allem mache. Leider ist auch von der Politik gleich abwehrend reagiert worden – weil immer die Panik ausbricht, man wolle Geld haben. Aber darum geht es gar nicht. Vielleicht kann man mit der neuen Leitung der Festwochen, die ja einen anderen Ansatz hat, schauen, ob es in Zukunft heißen könnte: Im Frühjahr machen die Festwochen Interdisziplinäres, Theater, Musik, Performance, im Herbst Bildende Kunst. Tomas Zierhofer-Kin ist jedenfalls nicht abgeneigt, darüber zu reden.
Sie sind auch Mitglied der Steuerungsgruppe für ein großes Projekt von Kulturminister Ostermayer – dem Haus der Geschichte. Alles begann mit elf Millionen Euro, bei denen der Minister gesagt hat: Die werden beim Weltmuseum Wien eingespart, und damit machen wir gleich noch ein neues Museum. Wir halten im Moment beim zehnfachen Betrag, wo allerdings auch Tiefspeicher und Tiefgarage inkludiert sind. Sehen Sie dieses Geld für das, was die Republik dafür bekommt, gut angelegt?
Nein, das wäre nicht gut angelegt. Und es wird sich mit dieser Summe nicht ausgehen. Die 111 Millionen haben eine Schwankungsbreite von 25 Prozent, und das ist ein Nettobetrag ohne Bauzinsen. Also sind wir insgesamt bei gut 170, 180 Millionen. Dabei hat es, anders als beim Weltmuseum, bei dem sich viele Fachleute dagegen ausgesprochen haben, das ausgerechnet in diesen Zeiten zu reduzieren, nie eine Community aus Museumsleuten, Historikerinnen und Historikern gegeben, die gesagt hat: Super, machen wir ein Haus der Geschichte!
Dieses gesuchte nationale Narrativ scheint genau in den Backlash zu passen, den wir heute erleben – von der Vereinigung zurück zur Vereinzelung, vom grenzenlosen Europa zu einem Europa der Grenzen.
Natürlich. Ich halte das nicht für einen Zufall. Außerdem ist es wieder eine Konzentration von Herrschaftswissen im Zentrum der Stadt. Dann gehe ich doch lieber nach Simmering oder Favoriten. Und abgesehen davon: Warum diese Wien-Zentriertheit?
Mit dem Haus der Zukunft hat das Haus der Geschichte eine Art Appendix bekommen. Ist das ein großkoalitionärer Abtausch – oder kann das was?
Es kann gar nichts. Aber als Historikerin finde ich es natürlich wahnsinnig interessant, dass sich die Sozialdemokratie der Geschichte annimmt und die Konservativen der Zukunft. Diese Konstellation finde ich besonders lustig. Von meinem Verständnis dieser Parteien wäre es ja eigentlich umgekehrt. Und natürlich ist es ein parteipolitischer Abtausch, mal abgesehen davon, dass wir nicht im Entferntesten wissen, was in diesem Haus der Zukunft stattfinden soll. Und was soll ein Haus der Geschichte ohne Zukunft?
Das soll ja Teil des Konzeptes sein – dass der Inhalt in einem partizipativen Prozess festgelegt wird. In Ihrer Rechnung von 170/180 Mio. Euro ist das Haus der Zukunft noch gar nicht drinnen. Welche Kosten kämen da noch dazu?
Blimlinger: Wenn man an einen Neubau denkt, muss man wohl mit weiteren 60 bis 80 Millionen rechnen. Aber ich brauche dort kein Haus der Geschichte Österreichs und auch kein Haus der Zukunft. Ich brauche dort aber auch keinen Tiefspeicher. Jeder Experte im Bereich des Bibliothekswesens wird Ihnen sagen, dass Tiefspeicher für Bücher ungeeignet sind, weil man auch mit den besten Methoden nicht sicher sein kann, dass es dort keinen Wassereintritt gibt, siehe Albertina. In Wirklichkeit könnte man diese elf Millionen von Ostermayer nehmen, acht Millionen davon den österreichischen Heimat- und Bezirksmuseen geben, und drei Millionen geben wir für die Begrünung des Heldenplatzes aus. Damit wäre allen wunderbar gedient.
Die Nationalbibliothek sagt aber, sie braucht eine gewisse geografischen Nähe des Bücherspeichers für den Leihverkehr.
Blimlinger: Es gibt sicherlich einen Bestand an Büchern, der seit zehn, fünfzehn Jahren nicht ausgeborgt wurde. Für den reicht, glaube ich, ein Shuttle-Dienst, der dreimal in der Woche Bücher aus dem Außendepot holt. Ich denke, “Heldenplatz neu” kann eigentlich nur heißen, dass die Autos dort verschwinden. Aber dazu brauche ich keine Tiefgarage, denn schon die Parkgarage im Museumsquartier ist nicht ausgelastet. Ohne parkende Autos könnte der Heldenplatz wirklich ein Platz sein, an dem sich die Menschen aufhalten können. Es muss ja nicht unbedingt jedes zweite Wochenende ein Erntedankfest, eine Panzerpräsentation oder eine Lipizzanerschau stattfinden. Kann man nicht einfach einmal einen Platz als Platz lassen? Davor fürchten sich die Österreicher aber offensichtlich.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)