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Afghanischer Vizepräsident ermordet

Der afghanische Vizepräsident Haji Abdul Kadir ist am Samstag in der Hauptstadt Kabul ermordet worden. Die Regierung sprach von einem „terroristischen“ Anschlag.

Nach offiziellen Angaben trafen drei Dutzend Kugeln den Wagen Kadirs, als dieser zu Mittag Ortszeit das Ministerium für Öffentliche Arbeiten verließ. Er war ein erklärter Gegner der radikalislamischen Taliban gewesen, die er Ende vergangenen Jahres zu entmachten half. Der Paschtune galt als getreuer Gefolgsmann des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai. Die Regierung sprach von einem „terroristischen“ Anschlag und trat zu einer Sondersitzung zusammen. Unterdessen räumten die USA ein, am Montag 48 Zivilisten bei einem Luftangriff in Afghanistan getötet haben.

„Dies ist ein Terror-Akt“, sagte Außenamtssprecher Omar Sammad. „Feinde des Volkes“ seien dafür verantwortlich. Karsai sicherte nach Angaben von Kadirs Brudes, Nasarullah Barjalai, eine eingehende Untersuchung des Attentats zu. In den vergangenen Monaten hatte es wiederholt Attentate auf Regierungsmitglieder gegeben. Im Februar war Luftfahrtminister Abdul Rahman am Kabuler Flughafen ermordet worden. Verteidigungsminister Mohammed Fahim war im April in Jalalabad nur knapp einem Attentat entgangen, dem fünf Menschen zum Opfer fielen.

Den Mord an Kadir gab Innenminister Mohammad Wardak bekannt. Zehn Leibwächter Kadirs wurden festgenommen, weil sie nicht angemessen auf die Attacke reagierten. Der Kabuler Polizeipräsident Basir Salangi sagte ergänzend, es habe sich um zwei Täter gehandelt. Sie seien in einem Fluchtfahrzeug entkommen. Die Internationale Schutztruppe für Kabul (ISAF) schaltete sich in die Ermittlungen ein. Kenner der Lage äußerten den Verdacht, dass die Taliban hinter dem Anschlag stecken. Sie töteten vergangenes Jahr Kadirs Bruder, den legendären Oppositionsführer Abdul Haq, als er um Verbündete gegen die Islamisten warb.

Kadir war im Juni von der Großen Ratsversammlung (Loya Jirga) zu einem von drei Stellvertretern Karsai berufen worden. Er war daneben noch Bauminister und Gouverneur von Jalalabad im Osten des Landes. Die Täter eröffneten das Feuer, als Kadirs Auto auf das Gelände seines Amtssitzes einbog. Mit ihm starb sein Fahrer. Zwei Beifahrer wurden verletzt. Die Kugeln zerschmetterten die Windschutzscheibe und durchlöcherten die Karosserie. Im Wrack und auf dem Boden war Blut zu sehen.

Kadir war während der sowjetischen Besatzung in den 80er Jahren ranghoher Kommandant der Gruppierung Hesb-e-Islami, die vom konservativen Kleriker Yunus Khalis geführt wurde. Als einer der wenigen Angehörigen des afghanischen Mehrheitsvolks kämpfte er danach auf der Seite der Nordallianz gegen die Taliban. Die Allianz wird von Tadschiken beherrscht, während sich die Taliban aus Paschtunen rekrutierten. Ein Kenner der Lage sagte, für die Taliban sei Kadir ein Verräter gewesen. „Deshalb könnte es ein Taliban-Anschlag gewesen sein.“

Kadirs Bruder Haq war ebenfalls ein Taliban-Gegner gewesen. Nach dem Beginn der Offensive der USA und der Nordallianz Anfang Oktober kam er aus dem Exil heim, um neue Verbündete gegen die Taliban zu finden. Sie hatten 1996 Kabul erobert und bis zu 95 Prozent des Landes beherrscht. Die Nordallianz ging aus der Regierung hervor, die sie verjagt hatten.

Der Mord an Kadir illustriert die Probleme, die der Paschtune Karsai bei der Befriedung eines Landes hat, in dem 23 Jahre lang Krieg herrschte – erst gegen die sowjetischen Besatzer und deren afghanische Statthalter, dann innerhalb der siegreichen Allianz der Mujaheddin und schließlich zwischen den Mujaheddin und den Taliban.

Die US-Bombenangriffe auf eine Hochzeitsgesellschaft in der entlegenen Provinz Urusgan haben 48 Menschen das Leben gekostet und 117 Menschen verletzt. Der Befehlshaber der US-Truppen in Afghanistan, Generalleutnant Dan McNeill, erklärte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem afghanischen Außenminister Abdullah Abdullah, eine eingehende Untersuchung solle Aufschluss darüber geben, wie es zum Vorfall kommen konnte. Ein Team von afghanischen und US-Ermittlern war zuvor zwei Tage lang an Ort und Stelle Hinweisen über Opfer nachgegangen. McNeill blieb allerdings bei der US-Darstellung, wonach es ausreichend Hinweise auf „direktes Feuer gegen das Flugzeug vom Boden“ gegeben habe. Bei Hochzeiten werden in Afghanistan gewöhnlich Freudenschüsse in die Luft abgegeben.

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