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Afghanische Verfassung: Zweifel an Wirksamkeit

Die Annahme eines Verfassungstextes für Afghanistan durch die Große Ratsversammlung in Kabul ist von UNO-Generalsekretär Kofi Annan als „historische Leistung“ gewürdigt worden.

Die „Islamische Republik Afghanistan“ verfügt über ein starkes Präsidialsystem mit dem Islam als Staatsreligion bei gleichzeitig verbriefter Religionsfreiheit. Ob das neue Grundgesetz allerdings auch außerhalb von Kabul wirksam werden kann, wird angesichts der starken ethnischen Gegensätze bezweifelt. Bei einem Überfall auf einen US-Konvoi sind erneut zwei amerikanische Soldaten in Afghanistan verletzt worden. Die NATO wird sich nach den Worten ihres neuen Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer in diesem Jahr vor allem auf ihren Einsatz in Afghanistan konzentrieren.

Eine reguläre Abstimmung über den Verfassungstext fand in der Loya Jirga, deren dreiwöchige Beratungen am Freitag vollständig blockiert waren, nicht statt. Der Vorsitzende Sibghatullah Mojadeddi hatte am Wochenende überraschend angekündigt, dass „alle Mitglieder eine erfolgreiche Einigung erzielt haben“. Präsident Hamid Karzai hatte seine eigene Zukunft in die Waagschale geworfen, als er seine Kandidatur für die Präsidentschaft davon abhängig machte, dass diese nach amerikanischem Vorbild mit weit reichenden Befugnissen ausgestattet werde.

Karzais Gegner – konservative Islamisten, Führer der ehemaligen Nordallianz und die nichtpaschtunischen Völkerschaften – argumentierten, Afghanistans multiethnische Gesellschaft brauche eine föderalistische Struktur. Sie erwirkten ein Vetorecht des Parlaments bei wichtigen Ernennungen, die Einführung von zwei Vizepräsidenten sowie die Anerkennung der Regionalsprachen als Amtssprachen in jenen Provinzen, in denen diese von einer Mehrheit gesprochen werden. Die Islamisten setzten sich mit ihrer Forderung eines Alkoholverbots durch, konnten aber nicht erreichen, dass die Scharia der zivilen Gesetzgebung übergeordnet wurde.

Der UNO-Sondergesandte Lakhdar Brahimi bezeichnete die neue Verfassung „als eine neue Quelle der Hoffnung“. US-Präsident George W. Bush erklärte, die Verfassung helfe sicher zu stellen, dass Terroristen in dem Land keinen Unterschlupf mehr finden würden. „Das Dokument ist die Basis für demokratische Institutionen und ein Rahmenwerk für Wahlen im Jahr 2004“, hieß es in einer Erklärung des Weißen Hauses.

Bei seinem Amtsantritt im Brüsseler NATO-Hauptquartier sagte Generalsekretär de Hoop Scheffer am Montag, die Hauptaufgabe liege jetzt in Afghanistan. „Die Situation dort ist alles andere als einfach“, betonte der frühere niederländische Außenminister.

Taliban-Guerillakämpfer haben unterdessen im Süden Afghanistans einen einheimischen Mitarbeiter einer christlichen Hilfsorganisation entführt. Der Afghane habe mit seinem Wagen einen Hilfskonvoi der Organisation „Shelter for Life“ begleitet, sagte der Polizeichef der Provinz Sabul, Mohammed Hajub, am Montag. Nördlich von Kalat sei der Wagen von bewaffneten Männern gestoppt worden. Zwei Einheimische seien durch Schüsse verletzt worden, als sie versucht hätten, ihren Landsmann zu schützen. In einem Telefonanruf bei der Nachrichtenagentur AP bekannte sich ein Sprecher der Taliban, Mullah Abdul Hakim Latifi, zu der Entführung. Der Mann sei in Sicherheit. Die Bedingungen für seine Freilassung sollten später bekannt gegeben werden. Entlang der Schnellstraße von Kabul nach Kandahar haben mutmaßliche Taliban-Kämpfer in der Vergangenheit mehrfach Bauarbeiter und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen angegriffen.

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