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Afghanen kritisieren Hilfe

Die Helfer werden als neue Kolonialherren empfunden. Statt Afghanistan auf die Beine zu helfen, verhinderten sie das Erstarken des Staates und der Wirtschaft.

„Sie verteilen Mehl, aber bauen keine Fabriken, sie verteilen Öl, aber schaffen keine Arbeitsplätze.“ Mit scharfen Worten kritisiert der afghanische Geschichtsprofessor Aziz Ahmad Rahmand die internationalen Hilfsorganisationen in seinem Land. Statt Afghanistan auf die Beine zu helfen, verhinderten sie das Erstarken des Staates und der Wirtschaft. Außerdem seien die Mitarbeiter nicht selten schlecht ausgebildet und träten arrogant auf. Wie „Angehörige einer privilegierten Klasse“ kämen die Helfer daher, die Taschen gefüllt mit „fünf Mal soviel Lohn wie ein afghanischer Arbeiter“. Die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind in seinen Augen nichts anderes als eine „neue Kolonialverwaltung“.

Einige dieser „jungen Leute verhalten sich arrogant, während sie weder etwas vom Land wissen noch, warum sie überhaupt hier sind“, erregt sich Rahmand, der als Dekan dem Institut für Neuere Geschichte an der Universität Kabul vorsteht. Sein Fachkollege Abdulhabib Panschiri findet den Auftrag der NGOs zumindest undurchsichtig. „Wohin fließen die internationalen Spenden für die Afghanen wirklich, wieviel Geld kommt letztlich auf den Konten der Empfänger an?“, fragt der Professor. „Wer kennt die Geldmenge, die durch ihre Hände geht?“ Auch die Vereinten Nationen sparen die beiden Hochschullehrer mit ihrer Kritik nicht aus. Es müsse ein „neuer Mechanismus“ gefunden werden, um Spenden wirklich den bedürftigen Afghanen zuzuleiten.

„Unkenntnis“ von Land und Leuten beklagt auch ein ehemaliger afghanischer Dolmetscher für NGO-Mitarbeiter, der ungenannt bleiben will. „Eine unserer Missionen in der zentralafghanischen Stadt Bamiyan war einfach die Hölle.“ Die jungen Leute hätten kaum Kenntnisse über das Land gehabt und nicht einmal eine Schlafgelegenheit für die örtlichen Helfer vorbereitet – was im Übrigen häufig passiere. „Fast hätte es einen Aufstand gegeben“, erinnert sich der Übersetzer.

UNO-Vertreter und Mitarbeiter anderer Hilfsorganisationen in Kabul weisen die Vorwürfe zurück. „Das sind Kneipenkommentare“, sagt der Leiter des UNO-Welternährungsprogramms, Jacinta Govendar. Es komme vor, dass manche Organisationen zuviel und andere nichts an Mitarbeiter zahlten. Die große Nachfrage bestätige sie jedoch. „Wir erhalten massenhaft Anfragen von Leuten, die hier gerne arbeiten würden.“ Die Bevölkerung sei den Helfern wohlgesonnen. Außerdem beschränke sich die Hilfe nicht nur auf die Verteilung von Lebensmitteln, sagt Govendar. „Wir haben Programme für eine dauerhafte Entwicklung“, unterstreicht er.

Frederic Roussel, der die Arbeit der französischen Hilfsorganisation ACTED koordiniert, bestätigt Govendars Sichtweise. „In den kommenden Monaten erwarten wir eine große Nachfrage aus der afghanischen Bevölkerung.“ Die Klagen sieht er gelassen: Das sei das eben so, wenn nach Krieg wieder Frieden einziehe. „Nach einem Monat Frieden beginnt nun die Unzufriedenheit. Wir geben ihnen Brot und die Leute wollen Straßen und werden ungeduldig“, sagt Roussel.

Die Aufgabe der NGOs sei es nicht, die „Wirtschaft dauerhaft auf Vordermann zu bringen, sondern für Hilfe in der Not zu sorgen“. Schon unter den Taliban verkaufte ACTED jeden Tag in rund 400 Bäckereien tausende Laibe billiges Brot. Das Mehl lieferte das Welternährungsprogramm. Der Vorwurf der Vetternwirtschaft sei unhaltbar. „Unsere Arbeit ist transparent. Wir beschäftigen beispielsweise nicht Angehörige einer Familie.“ Allerdings müssten die Mitarbeiter Englisch sprechen, und außerdem bevorzuge ACTED junge Leute mit bestimmten Fähigkeiten. Das führe gelegentlich zu Unstimmigkeiten mit der Regierung, räumt er ein. „Die Regierung bezahlt ihnen fünf Dollar (5,6 Euro) und wir das Zehnfache.“

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