Acht Jahre in Händen ihres "Gebieters"
Demnach dürfte der 44-jährige Wolfgang Priklopil, der sich am Mittwochabend vor einen Zug geworfen hat, die Entführung Nataschas sorgfältig geplant haben. Darauf deute unter anderem das Verlies hin, in dem er das Mädchen bzw. die junge Frau gefangen hielt, wie Kriminalisten der APA berichteten.
Dass es sich bei der am Mittwoch gefundenen Frau um Natascha Kampusch handelt, war klar, da die 18-Jährige eine Narbe hatte, die auch das zehnjährige Mädchen aufgewiesen hatte. Zudem war in dem Haus in Strasshof (Bezirk Gänserndorf) der Reisepass von Natascha Kampusch entdeckt worden, den sie bei ihrer Entführung bei sich hatte. Das DNA-Gutachten stand zunächst noch aus, war aber nach diesen Erkenntnissen nur noch ein Formalakt.
Die Befragung des Entführungsopfers gestalteten die Ermittler sehr behutsam und langsam. Die restlose Aufklärung des Falles wird daher noch einige Tage, vielleicht Wochen in Anspruch nehmen. Viele Fragen blieben offen: So ist zum Beispiel Gegenstand der Ermittlungen, ob der 44-Jährige Natascha Kampusch zum Einkaufen mitgenommen hat. Sicher ist, dass er ab Frühling 2006 „offensiver und frecher geworden ist“, sagte Nikolaus Koch, Landespolizeikommandant im Burgenland und Leiter der Sonderkommission zu dem Entführungsfall.
Dass Kampusch ihrem Peiniger entkommen konnte, dürfte an einem gelockerten Umgang mit dem Entführungsopfer gelegen sein, den Wolfgang Priklopil in letzter Zeit an den Tag legte. „Er war nicht mehr so vorsichtig wie am Anfang“, meinte Koch. „In einem Augenblick, der für sie günstig war, ist sie hinausgelaufen. Kurzfristig war sie nicht unter seiner Kontrolle“, schilderte er. Das Verlies hat laut dem Ermittler alle nötigen Einbauten wie Toilette und Bad, man könnte dort wohnen.
Natascha Kampusch ist weiterhin in polizeilicher und psychologischer Betreuung. „Wir werden mit ihr diesen Kriminalfall Punkt für Punkt aufarbeiten.“ Am Mittwoch sei sie noch nicht ausführlich befragt worden. „Wir haben sie gestern ausruhen lassen“, sagte Koch.
Die 18-Jährige sei in guter Verfassung. Und sie weiß, dass Priklopil tot ist, sagte Koch. Wie sie auf den Selbstmord ihres Entführers reagiert hat, konnte der Ermittler nicht sagen. Über das Motiv des Täters und ob sexueller Missbrauch an Natascha Kampusch stattgefunden hat, das sei noch Gegenstand der Ermittlungen.
Als unauffälligen Einzelgänger, unbescholten und zurückgezogen beschreiben Angehörige und die wenigen Freunde von Wolfgang Priklopil (44) den Entführer von Natascha Kampusch. „Kontaktscheu“ sei er gewesen und ein „Technikfreak“, haben die Ermittler zu hören bekommen, sagte Erich Zwettler vom Bundeskriminalamt. Offenbar habe der Mann nur zwei Freundschaften gepflegt – zu jenem Bekannten, den er am Mittwoch nach seiner Flucht aus Strasshof a.d. Nordbahn um Hilfe gebeten hatte, und einem zweiten, mit dem er in Wien eine Firma betrieben haben soll, die sich mit dem Vermieten von Immobilien beschäftigte.
Die Flucht des Mädchens könnte darauf hindeuten, dass sich die Situation in dem Haus in zugespitzt hat. Wie der Psychiater und Missbrauchsspezialist Dr. Max Friedrich der APA sagte, könnte sich die symbiotische Beziehung zwischen Natascha und Wolfgang Priklopil so verändert haben, dass die 18-Jährige die Flucht gewagt hat.
Denkbar ist, dass der Täter auf Grund der Veränderung von Natascha vom leicht zu kontrollierenden Kind zur Frau mit eigenem Ich das Interesse an ihr verloren hat. Dies würde auch die Nachlässigkeit Priklopils in den vergangenen Monaten erklären. Genau dieser Wandel in Körper und Wesen von Natascha könnte den Fantasien von Priklopils zuwidergelaufen sein. „Er hat sie kindlich imaginiert“, sagte Friedrich. Für Natascha hätte dies dramatische Folgen haben können. Wäre ihr Peiniger ihrer überdrüssig geworden, wäre „auch ein Tötungsdelikt nicht ausgeschlossen gewesen“, so der Psychiater.