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Abschied vom tschechischen Botschafter

Grusa: Alte Vorurteile zwischen Wien-Prag brechen langsam auf - der tschechische Botschafter in Österreich nimmt Abschied, bleibt aber doch in Wien.

„Es ist ein Abschied mit einem lachenden und einem weinenden Auge,“ sagt Jiri Grusa, tschechischer Botschafter in Österreich. Weinend, weil der „dienstälteste Diplomat“ seines Landes das Amt Ende Jänner/Anfang Februar aufgibt. Lachend, weil er Österreich „verbunden“ bleibt. Als neuer Präsident des PEN-Clubs werde er auch weiter in Wien arbeiten. Und, wie Grusa lachend hinzufügt: „Das wird nicht weniger anstrengend.“ Im Gespräch mit der APA zieht der Botschafter Bilanz über 14 Jahre diplomatischen Dienst – in Bonn und seit 1998 in Wien.

„In der europäischen Mitte war die Politik, wie wir gesehen haben, mit alten Vorurteilen und Feindschaften verbunden. Das aufzubrechen, war nicht einfach, ist heute noch nicht einfach“, sagt Grusa. In Österreich, Deutschland und auch in Tschechien habe es „mentale Reservationen“ gegeben. Diese Vorbehalte seien „in den optimistischen Zeiten des Aufbruchs“ (der Wende 1989, Anm.) nicht ans Tageslicht gekommen. „Und man war der Meinung – bei den Tschechen vielleicht mehr als hier -, dass das alles vorbei ist. Es stellte sich aber heraus, dass diese Reservate oder Reservoire der Vorurteile noch immer vorhanden sind, und bei der ersten Auseinandersetzung – was in der Politik ganz normal ist – waren sie einfach da, beiderseits.“

Grusa: „Dies endlich einmal anzuerkennen, zu öffnen, ventilieren und lüften“, sei wichtig gewesen. „Ich würde das sogar positiv sehen. Wir sind nun dabei, das endlich abzubauen. Aber das dauert.“ Und:
„Wir sind wesentlich weiter heute.“

Streitfall Temelin

Weiter ist man auch, was das südböhmische Atomkraftwerk Temelin betrifft. Diese Auseinandersetzungen waren für Grusa „nicht einfach“, sagt er. Er persönlich war nämlich gegen das Kraftwerk. Prag habe ihn daher fälschlicherweise „verdächtigt“, er vertrete die österreichischen Ansichten und nicht die tschechischen. „Es ist mir dann doch gelungen, eine andere Tonart einzuführen und dann letztendlich die Menschen, die die Entscheidungen treffen, an einen Verhandlungstisch zu bringen.“

Hinsichtlich der Sudetendeutschen-Frage trug Grusa 1997, damals als Botschafter in Deutschland, zum Zustandekommen der deutsch-tschechischen „Schlussstrich-Erklärung“ bei. In Österreich setzt er sich für eine Initiative ein, die vom Österreichisch-Tschechischen Dialogforum, einer Organisation mit Sitz in Wien und Prag, ausgearbeitet worden ist.

„Ich bin der Meinung, wir brauchen eine entpolitisierte Institution, die Geld verwaltet und dieses ausschließlich in Projekte investiert, die der gemeinsamen Zukunft dienen. Das bedeutet nicht, dass wir die Vergangenheit weglassen.“ Sondern: „Alles, was hier dienlich sein kann – auch Versöhnungsgesten, Entschädigungen – gehört hier hinein.“ Die Projekte sollten etwa im Bereich Wirtschaft, Kultur und Jugend angesiedelt sein.

Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds

Grusas Erfahrung mit dem 1997 gebildeten deutsch-tschechischen Zukunftsfonds habe ihm aber gezeigt, „dass wir eine Charta brauchen“. Hier sollten die Ziele definiert werden, um „eine gewisse Unabhängigkeit vom direkten politischen Einflussbereich“ zu haben. „Indirekt ist das natürlich immer vorhanden. Aber wenn dieser Fonds sagt, wir machen ein Projekt für Entschädigungen, dann soll kein Politiker anrufen können und sagen, dass das nicht gemacht werden soll.“ Die Initiative wurde den Ministerpräsidenten in Wien und Prag vorgelegt. „Auf beiden Seiten gibt es Überlegungen auf den höchsten Ebenen, aber noch nichts Konkretes“, sagte Grusa.

Konkret wurde es hingegen vergangene Woche im österreichischen Parlament. Dieses hatte den EU-Erweiterungsvertrag ratifiziert. Grusa fühlt sich darüber erleichtert. „Es ist wirklich gut geplant gewesen, passt alles zusammen.“ Die Absegnung des tschechischen EU-Beitritts, die Wahl zum PEN-Präsidenten und sein Abschied als Botschafter. Zumindest ein Auge kann lachen.

Grusa, 1938 in Pardubice (Pardubitz) als Nachfahre der Familie des Kardinals und Wiener Erzbischofs Anton Gruscha (1820 – 1911) geboren, studierte Philosophie und Geschichte an der Karlsuniversität in Prag. 1964 gründete er die erste nicht-kommunistische Literaturzeitschrift „Tvar“ (Gesicht), die später verboten wurde. 1968 wirkte er beim Prager Frühling mit, 1970 erfolgte ein Berufsverbot der Kommunisten. 1978 wurde Grusa wegen seines Romans „Dotaznik“ (Der 16. Fragebogen) für zwei Monate inhaftiert. Während einer Auslandsreise in die USA wurde er 1981 aus der damaligen Tschechoslowakei ausgebürgert. Er lebte daraufhin lange Zeit in Deutschland, wo er nach 1990 als Botschafter tätig war. Seit 1998 ist er tschechischer Botschafter in Wien.

Redaktion: Bernhard Degen

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