Milliarden versenkt? Indonesiens neue Hauptstadt wird zur Geisterstadt
Jakarta erstickt. Im Müll, im Verkehr, im Smog – und im Wasser. Die Metropole, größer als Tokio, zählt laut den Vereinten Nationen inzwischen 42 Millionen Menschen. Doch sie sinkt. Um bis zu 25 Zentimeter pro Jahr. Ursache: exzessive Grundwasserentnahme, schlechte Infrastruktur, Klimawandel. Laut Prognosen könnte bis 2050 ein Drittel der Stadt unter Wasser stehen.
"Fast keine Stadt auf der Welt versinkt so schnell wie Jakarta. Unsere Stadt hält diesem ganzen Druck nicht mehr stand", sagt Architekt Sofian Sibarani in einer Arte-Dokumentation. Die Antwort der Regierung: ein kompletter Neustart. Mitten im Regenwald von Borneo.
Nusantara: Der Traum einer grünen Metropole
1200 Kilometer von Jakarta entfernt entsteht seit 2022 Nusantara – eine geplante "Waldstadt", wie sie Ex-Präsident Joko Widodo nennt. Der Präsidentenpalast erinnert an Garuda, den mythischen Vogel Indonesiens. Die Gebäude sollen erhöht gebaut sein, begrünt, durchlüftet – ein Modell für klimafreundliches Bauen. Offiziell wurde die neue Hauptstadt im August 2024 eingeweiht, doch wer heute nach Nusantara reist, sieht vor allem eines: eine gigantische Baustelle.
Milliardenprojekt mit bröckelnder Finanzierung
Ursprünglich sollte Nusantara rund 32 Milliarden Euro kosten – nur 20 Prozent davon will der Staat selbst übernehmen. Der Rest sollte von privaten und staatlichen Investoren kommen. Doch die halten sich zurück. Ein herber Rückschlag war der Ausstieg der japanischen Softbank bereits 2022. Auch Präsident Prabowo Subianto, seit 2024 im Amt, zeigt sich zurückhaltender als sein Vorgänger. Die staatlichen Mittel wurden deutlich gekürzt – auf rund 340 Millionen Euro im kommenden Jahr, wie der "Guardian" berichtet.
Ein Wirtschaftsjournalist der unabhängigen Zeitschrift "Tempo" warnt in der Arte-Doku: "Das Projekt ist zu kostspielig für ein Land wie Indonesien. Wir befürchten eine horrende Staatsverschuldung – profitieren werden nur regierungsnahe Geschäftsleute."
Geisterstadt im Entstehen
In Nusantara leben aktuell rund 8000 Bauarbeiter und etwa 2000 Regierungsangestellte – hauptsächlich Polizei, Militär und Geheimdienst. Es gibt Wohnblöcke, ein paar Hotels, ein Spital, erste Straßen und ein Stromnetz. Doch von einer lebendigen Hauptstadt ist wenig zu spüren. Stattdessen: Müllberge, Ratten, Prostitution und sogar Hahnenkämpfe. Der Umzug der Regierung soll erst 2028 abgeschlossen sein. Bis dahin hat Indonesien faktisch zwei Hauptstädte.
Zwischen Regenwald und Realpolitik
Was auf dem Papier als "Smart City" gepriesen wird, bedroht in der Realität eines der letzten Rückzugsgebiete der Orang-Utans. Über 2000 Hektar Mangrovenwald wurden laut Berichten bereits abgeholzt. Auch indigene Gemeinschaften verlieren ihre Heimat. "Das ganze Land wurde für die neue Hauptstadt beschlagnahmt. Es fühlt sich an, als würde uns die Regierung langsam umbringen", sagt eine betroffene Anwohnerin in der Dokumentation.
Symbolpolitik oder Zukunftsvision?
Nusantara soll zum 100. Jubiläum der Republik 2045 vollständig fertig sein. Zwei Millionen Menschen könnten dort dann leben – nur ein Bruchteil der Bevölkerung Jakartas. Laut Expert:innen wird das neue Zentrum kaum zur Entlastung beitragen. Weder gegen Überflutungen noch gegen soziale Spaltungen.
Trotz Kritik, Protesten und Rückschlägen wird weitergebaut. Was bleibt, ist der Eindruck eines gewaltigen politischen und finanziellen Experiments. Ob Nusantara ein Vorbild für klimafeste Städte wird – oder als teuerste Geisterstadt der Welt in die Geschichte eingeht – bleibt offen.
(Red.)