Hundebox‑Fall im Waldviertel: Neues Gutachten belastet Sozialarbeiter
Im Fall um einen nun 15-Jährigen, der von seiner Mutter im Waldviertel in eine Hundebox gesperrt und gequält worden sein soll, liegt ein ärztliches Gutachten vor. Die im Zivilprozess um Schmerzengeld für den Buben eingeholte Expertise befasst sich mit dem Gesundheitszustand des Kindes und besagt, dass der federführende Sozialarbeiter nach dem zweiten Hausbesuch "akute ärztliche Hilfe" organisieren hätte müssen. Eingeholt wird nun noch ein weiteres Sachverständigengutachten.
Klage gegen das Land NÖ
Die zivilrechtliche Klage gegen das Land Niederösterreich hatte Opferanwalt Timo Ruisinger im November des Vorjahres beim Landesgericht Krems eingebracht. Der Gesamtstreitwert beträgt 180.000 Euro, zu 150.000 Euro Schmerzengeld kommen 30.000 Euro an Feststellungsinteresse für die zukünftigen Schäden. Rechtlich gestützt ist die Klage auf das NÖ Kinder- und Jugendhilfegesetz. Das Land, das die Vorwürfe zurückweist, ist demnach der Träger der Kinder- und Jugendhilfe.
Kernpunkt der Klage ist das Vorgehen zweier Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen a. d. Thaya, die mit dem Fall befasst waren. Es handelt sich um einen 37-Jährigen und eine 25-Jährige. Deren Handeln und Unterlassen sei dem Land als Träger der Kinder- und Jugendhilfe zuzurechnen, argumentieren die Opfervertreter Ruisinger und Heinrich Nagl. Das Sozialarbeiter-Duo habe nicht adäquat reagiert. Strafrechtliche Ermittlungen gegen die Sozialarbeiter wegen Amtsmissbrauchs wurden im Frühjahr eingestellt.
Zwei Hausbesuche – keine Schutzmaßnahme eingeleitet
Verbunden mit zwei Gefährdungsmeldungen - verfasst von der Schule und einem Landesklinikum - hatte es seitens der Kinder- und Jugendhilfe am 28. Oktober und am 18. November 2022 (vier Tage, bevor der Bub ins Koma fiel) jeweils unangekündigte Hausbesuche bei Mutter und Sohn gegeben. Beim ersten Termin waren beide Sozialarbeiter an Ort und Stelle gewesen. Beim zweiten Hausbesuch infolge der Gefährdungsmeldung des Spitals erschien der federführende Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen a. d. Thaya alleine. Geortet wurden von ihm zwar Auffälligkeiten, es wurde aber keine Veranlassung für eine sogenannte Gefahr-im-Verzug-Maßnahme gesehen.
Im der APA vorliegenden Sachverständigengutachten nimmt Hans Salzer, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, Bezug auf die Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe. "Die Erklärungen der Mutter für die Wunden, Abmagerung und Verhaltensstörungen wurden akzeptiert und nicht weiter untersucht. Der kritische Gesundheitszustand des Kindes wurde nicht erkannt", heißt es. Die Organisation einer Helferkonferenz - eines Austauschs aller beteiligten Institutionen - "spätestens nach dem ersten Hausbesuch hätte sehr wahrscheinlich die Misshandlung aufgedeckt". Und weiter: "Spätestens nach dem zweiten Hausbesuch hätte akute ärztliche Hilfe" für den Buben "organisiert werden müssen".
Zivilprozess auf unbestimmte Zeit vertagt
Im Zivilprozess sind bereits zwei Tage über die Bühne gegangen. Bisher letzter Termin war der 17. Juni, an dem die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt wurde. Eingeholt werden soll nun noch ein Gutachten aus dem Fachgebiet der Kinderpsychologie.
Die ursprüngliche Causa selbst sorgte über die Landesgrenzen hinweg für Aufsehen. Die nun 35-jährige Mutter soll ihren Sohn geschlagen, gefesselt, geknebelt und ihn wiederholt über Stunden in eine Hundebox eingesperrt haben. Am 22. November 2022 hatte sich das unterernährte Kind in akut lebensbedrohlichem Zustand befunden. Der damals Zwölfjährige überlebte wegen des Einschreitens einer Sozialarbeiterin, die der Familie aufgrund einer Beratung bekannt war. Als Komplizin der Kindsmutter soll eine damalige Freundin der Waldviertlerin fungiert haben.
Körpertemperatur lag bei 26,8 Grad
Letztlich wurde der Bub in die Klinik Donaustadt nach Wien transportiert. Bei der Aufnahme im Klinikum betrug die Körpertemperatur lediglich 26,8 Grad.
Für die Mutter und deren Freundin gab es bereits rechtliche Konsequenzen. Die 35-Jährige hatte in einem Geschworenenprozess Ende Februar 2024 wegen versuchten Mordes, Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen sowie wegen Freiheitsentziehung 20 Jahre Haft erhalten. Ihre ehemalige Freundin fasste wegen fortgesetzter Gewaltausübung als Beitrags- oder Bestimmungstäterin 14 Jahre aus. In beiden Fällen wurde zudem ursprünglich die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum ausgesprochen. Die Komplizin befindet sich indes nicht mehr im Maßnahmenvollzug, sie wurde bedingt daraus entlassen.
(APA/Red)