Missbrauchsvorwürfe gegen verstorbenen SOS-Kinderdorf-Gründer Gmeiner

Die Organisation erklärte, dass im Opferschutzverfahren acht dokumentierte Fälle zu Gmeiner vorliegen; weitere Betroffene können nicht ausgeschlossen werden. Übergriffe auf Mädchen sind nicht bekannt.
"Geschehnisse plausibel dargelegt"
Die Meldungen stammen aus Opferschutzverfahren der Organisation in den Jahren 2013 bis 2023. Die Übergriffe selbst sollen in den 1950er- bis 1980er-Jahren an vier Standorten in Österreich stattgefunden haben. "Die Betroffenen haben die Geschehnisse im Rahmen des Opferschutzverfahrens plausibel dargelegt; die Entscheidungen zu Entschädigung erfolgen auf Basis einer Plausibilitätsprüfung, es handelt sich um keine forensische Untersuchung", sagte SOS-Kinderdorf-Geschäftsführerin Annemarie Schlack. Weitere Opfer des als großer Kinderfreund geltenden Gmeiner könne man nicht ausschließen.
Alle acht Betroffenen wurden mit bis zu 25.000 Euro entschädigt, zudem wurden Therapieeinheiten bezahlt. Gmeiner galt zeitlebens als juristisch unbescholten. Das Opferschutzverfahren ist auch kein juristisches Instrument, sondern "ein Anerkennungs- und Unterstützungsinstrument".
SOS-Kinderdorf reagiert auf die Vorwürfe
In einer aktuellen Stellungnahme schreibt die Organisation, dass "das Bild Hermann Gmeiners in der Aufarbeitung kritisch neu eingeordnet wird".
Maßstab sei heute der Kinderschutz, nicht die Legende. Zwischen 2013 und 2023 seien acht Meldungen eingegangen, die im Zusammenhang mit Hermann Gmeiner und der frühen Aufbauzeit stehen.
Die Fälle betreffen vier Bundesländer in Österreich und reichen in die 1950er- bis 1980er-Jahre zurück.
Laut SOS-Kinderdorf diene das Opferschutzverfahren der Anerkennung des erlittenen Leids, sei aber "kein strafrechtliches Verfahren".
Zitat der Organisation:
"In der Aufarbeitung wird Hermann Gmeiners Rolle und Verantwortung umfassend beleuchtet – mit dem Ziel, seine Person und sein Wirken vollständig und im historischen Kontext zu betrachten. Kinderschutz ist die Grundlage für eine glaubwürdige Organisation von heute."
Mehr dazu unter: SOS-Kinderdorf – Reform und Aufarbeitung
Gmeiner als "Pionier der Menschlichkeit"
Der am 23. Juni 1919 in Vorarlberg geborene Mann galt bisher als "Pionier der Menschlichkeit". 1949 gründete Gmeiner mit knapp 30 Jahren den Verein Societas Socialis (SOS), der später in SOS-Kinderdorf umbenannt wurde. Er wollte nach eigenen Angaben "betreute Einrichtungen mit einem Umfeld schaffen, das dem einer leiblichen Familie möglichst nahekommt". Im selben Jahr wurde der Grundstein für das erste Familienhaus in Imst gelegt. Am 24. Dezember 1950 zogen die ersten fünf Waisenkinder mit ihrer SOS-Mutter ein.
In den 1960er-Jahren verbreitete sich die SOS-Kinderdorf-Idee auch außerhalb von Europa, in Asien und Lateinamerika. Das erste SOS-Kinderdorf in diesem Raum errichtete man 1964 in Quito in Ecuador. 1971 folgte schließlich das erste Kinderdorf in Afrika. Heute ist SOS-Kinderdorf in rund 135 Ländern vertreten.
Vorwürfe gegen Organisation im Ausland
International tauchten vor allem in Asien und Afrika immer wieder Missbrauchsvorwürfe gegen die Organisation auf. 2021 hat das SOS-Kinderdorf Österreich erstmals den Verdacht von sexuellem Missbrauch von betreuten Kindern und Jugendlichen von einem inzwischen verstorbenen Österreicher publik gemacht.
Der Gründer wurde mit öffentlichen Ehren geradezu überschüttet. Der SOS-Kinderdorf-Webseite zufolge erhielt er 146 Auszeichnungen, pflegte Freundschaften mit internationalen Größen wie dem Dalai Lama und Mutter Teresa. In Österreich wurden zudem zahlreiche Schulen, Straßen und Parks (etwa einer in der Wiener Inneren Stadt) nach Gmeiner benannt. In dem Bezirk steht auch ein Hermann-Gmeiner-Denkmal. 1994 widmete ihm die Österreichische Post eine Sonderbriefmarke.
Gmeiner starb am 26. April 1986 ehelos mit 67 Jahren an Krebs. Die Organisation bittet etwaige Betroffene, sich an die Meldestelle opferschutz@sos-kinderdorf.at zu wenden.
(APA)