"Viel Speck, wenig Wirkung": Meinl-Reisinger kritisiert UNO-Strukturen

Außenministerin Beate Meinl-Reisinger sieht die Vereinten Nationen 80 Jahre nach ihrer Gründung in der Krise. Aktuelle Probleme der UNO seien zu einem "Gutteil" aber darauf zurückzuführen, "dass wesentliche Staaten der Welt die Werte und auch das Rechtssystem der Vereinten Nationen mit Füßen treten" und sie auch "offen in Frage stellen", so Meinl-Reisinger in New York im APA-Interview. Reformbedarf gebe es etwa im Sicherheitsrat. "Die Welt war 1945 eine andere als heute."
Meinl-Reisinger sieht UNO in der Krise
Die Vereinten Nationen seien "aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs" entstanden, erinnerte die NEOS-Chefin, "als Europa in Schutt und Asche lag". Aus der damaligen Weltlage erklärt sich auch die Zusammensetzung des Sicherheitsrats, des höchsten UNO-Gremiums, dem als ständige Mitglieder China, Frankreich, Großbritannien, Russland (vormals Sowjetunion) und die USA angehören. Damals habe es einen ganz klaren europäischen und transatlantischen Fokus gegeben, konstatierte Meinl-Reisinger. Seither habe sich aber global viel verändert.
Wenn die Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert wieder Geltung haben wollen, "müssen wir Augenhöhe hineinbringen", formulierte die Außenministerin in dem am Rande der UNO-Generaldebatte in New York geführten Gespräch mit der APA. Die erfordere etwa "eine ordentliche Repräsentation des globalen Südens", insbesondere auch der afrikanischen Staaten.
Handlungsbedarf im Sicherheitsrat wegen Vetorechts
Zudem gelte es, das Vetorecht der ständigen Mitglieder zu reformieren. "Es wird den Vereinten Nationen oft vorgeworfen, inaktiv zu sein", sagte die Außenministerin. Diese Inaktivität stamme aber daher, dass gewisse Staaten beinhart "das Veto einsetzen, wenn es gegen ihre eigenen Interessen geht", kritisierte Meinl-Reisinger und nannte Russland als Beispiel. So sei der Sicherheitsrat etwa bezüglich des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine "gelähmt", eben weil Russland ein Vetorecht habe. Eine Abschaffung des Vetorechts sei derzeit aber unrealistisch, räumte Meinl-Reisinger ein, weil es dafür wiederum eine Einstimmigkeit im Rat selbst brauche.
Wichtige Änderungen bei den Vereinten Nationen könnten aber auch "im Kleinen" erfolgen, schlug sie vor. Nach acht Jahrzehnten sei in den Strukturen wohl "viel Speck" angewachsen. "Da ist viel Bürokratie, da gibt es Doubletten und Ineffizienzen." Doch erfülle die UNO wichtige Aufgaben, unterstrich Meinl-Reisinger und zählte auf: "Ernährungsprogramme, Bildungsprogramme, humanitäre Hilfsprogramme, friedenserhaltende Missionen" oder von der in Wien ansässigen Internationalen Atomenergiebehörde IAEA ausgeübte nukleare Kontrolle. Für alle diese wichtigen Bereiche gebe es bereits "sehr viele kluge Reformvorschläge, wie wir schlagkräftiger und kostengünstiger sein und auch fokussierter arbeiten könnten."
Österreich unterstützt UNO-Standort Wien
Hier bringe sich Wien oder Österreich auch deshalb ein, "weil wir ein ureigenstes Interesse daran haben, den UNO-Standort Wien zu stärken." Dass der Wiener UN-Amtssitz wegen - unter anderem durch extreme Budgetkürzungen der US-Administration unter Präsident Donald Trump hervorgerufenen - finanziellen Engpässen der Vereinten Nationen gefährdet werden könnte, glaubt Meinl-Reisinger nicht. Sie habe darüber auch mit Generalsekretär António Guterres gesprochen. "Wir sind in einer guten Position, auch bei der Wettbewerbsfähigkeit. Weil wir, was vielleicht überraschen wird, kostengünstig sind." Das liege unter anderem daran, dass in Wien im Vergleich zu anderen Standorten - etwa Nairobi - die Sicherheitskosten vergleichsweise gering seien.
Dass Europa die von den USA aufgerissenen Budgetlöcher stopfen soll, ist für Meinl-Reisinger kein Thema. "Wir sind anständig. Wir zahlen, wie es sich gehört, dann, wenn die Rechnung kommt. Aber dass wir die Ausfälle der USA begleichen, da sage ich sehr klar: "Nein. Das wollen und werden wir nicht tun." Allerdings hätten die UNO-Mitgliedstaaten - "insbesondere große Länder" - etwa bei der Entwicklungszusammenarbeit eine Verantwortung zu tragen. "Weil es ja nicht darum geht, nur aus moralischen Gründen Gutes zu tun." Vielmehr müsse das Ziel sein, "gute Lebensbedingungen vor Ort zu schaffen, um Migration schon am Ort zu verhindern".
Rede Trumps: Nicht jedes Wort "so ernst nehmen"
An der Rede von US-Präsident Donald Trump am Dienstag, der bei seinem Auftritt zur Eröffnung der UN-Generaldebatte auch scharfe Kritik an den Vereinten Nationen übte, wollte die Außenministerin nicht "jedes Wort so ernst" nehmen. Die Rede habe sich offenbar primär an seine amerikanische Wählerschaft gerichtet. "Da ging es ganz viel um Wahlkampf und ganz viel darum, wie toll die Trump-Administration ist."
Allerdings stimme Trumps Vorwurf, dass die UNO derzeit ihrem Potenzial nicht gerecht werde. "Nur Resolutionen zu verabschieden und zu debattieren" sei definitiv zu wenig. "Wir brauchen viel mehr aktive Arbeit an Friedenslösungen und Plänen." Dass Trump persönlich oder seine Administration versuchen würden, Konflikte und Kriege zu beenden, finde sie prinzipiell gut. Auch wenn der US-Präsident in seiner Ansprache diesbezüglich wohl "ein bisschen dick aufgetragen" habe.
Sicherheitsratskandidatur: "Welt besteht nicht nur aus ein paar Großen"
Bezüglich der Kandidatur Österreichs für einen nicht-ständigen Sicherheitsratssitz in der Periode 2027/28 könne von Vorteil sein, dass die Welt nicht nur aus "ein paar wenigen Großen" bestehe. "Sondern aus vielen kleinen Staaten, die so wie wir ein Interesse daran haben, dass wir zusammenarbeiten, weil wir gemeinsam stärker sind, weil wir gemeinsam Themen lösen können." Sie habe diesbezüglich in New York auch "mit karibischen Staaten, mit kleinen Inselstaaten, mit pazifischen Inselstaaten, mit afrikanischen Staaten, auch mit arabischen Staaten" gesprochen. Ein Tenor seien dabei auch die Gefahren durch den Klimawandel und die Erderwärmung gewesen. Diesbezüglich könne Österreich etwa durch seine Erfolge beim Ausbau der erneuerbaren Energien punkten.
Zudem sei Österreich in manchen Bereichen sogar federführend, meinte Meinl-Reisinger, und nannte etwa die "Kontrolle von Massenvernichtungswaffen". "Egal, ob das jetzt Atomwaffen sind oder auch biologische Waffen. Das ist Österreich seit langer Zeit ein Anliegen." Aktuell komme eine neue Bedrohungslage dazu, ergänzte die Ministerin. "Nicht nur automatisierte Waffensysteme, sondern auch die Kombination mit der Künstlichen Intelligenz." Zu diesem Thema hielt die Außenministerin am Donnerstagnachmittag auch eine Rede im Sicherheitsrat.
Deutliche Worte an Moskau
Mit Sorge betrachtet die Außenministerin indes, dass Russland unter Präsident Wladimir Putin jüngst immer mehr provoziere und offenbar versuche, mit "Verletzung von EU- und auch NATO-Luftraum" durch Kampfflugzeuge oder Drohnen, "die NATO oder die EU in eine Eskalationsspirale hineinzuziehen". Das sei schon ein sehr brenzliges Spiel", kommentierte Meinl-Reisinger. Daher müsse "jetzt mehr Druck" auf Moskau ausgeübt werden. "Wir wollen Frieden. Ich finde es sehr gut, dass die NATO besonnen reagiert", hielt die NEOS-Politikerin fest. Gleichzeitig müsse Europa aber in der Lage sein, sich zu verteidigen und zudem politische Signale setzen. "Bis hierher und nicht weiter."
(Das Gespräch führte Edgar Schütz/APA in New York)