Prozess um Sexualdelikte an Zwölfjähriger startete in Wien

Zehn Angeklagte im Alter zwischen 16 und 21 Jahren haben sich am Donnerstag am Landesgericht in einem Prozess um geschlechtliche Handlungen mit einer damals Zwölfjährigen, die sich laut Anklage zwischen März und Juni 2023 in Wien-Favoriten zugetragen hatten, nicht schuldig bekannt. Die Verteidiger wiesen die Vorwürfe der Staatsanwältin entschieden zurück. Nach dem Anklagevortrag und den Repliken der Rechtsvertreter der Beschuldigten wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen.
Den Angeklagten - mit einer Ausnahme Jugendliche, die im Tatzeitraum teilweise selbst erst 14 waren - wird vorgeworfen, mit dem Mädchen gegen deren erklärten Willen sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben. Das inkriminierte Geschehen trug sich in einem Hotelzimmer, in Stiegenhäusern, einem Hobbyraum und zumindest in drei Fällen in der Wohnung eines Angeklagten zu. Bei zwei Angeklagten geht es um den Vorwurf der geschlechtlichen Nötigung, in allen anderen Fällen um die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung.
Der ursprünglich im Raum stehende Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen ist vom Tisch, wie die Staatsanwältin eingangs der Verhandlung betonte: "Das Ermittlungsverfahren hat nicht mit der erforderlichen Sicherheit ergeben, dass den Angeklagten bewusst war, dass das Opfer erst zwölf Jahre alt war." Ihnen wurde daher zugebilligt, dass sie mit der Betroffenen im Glauben, diese wäre bereits 14, intim wurden. Mit eine Rolle dürfte dabei gespielt haben, dass aus Sicht der Staatsanwaltschaft das Mädchen äußerlich älter als zwölf wirkte, weshalb den Beschuldigten kein Vorsatz in Richtung eines Missbrauchs eines unmündigen Kindes angelastet werden konnte.
Staatsanwältin: "Mädchen fühlte sich unter Druck gesetzt"
Das Mädchen hatte einen inzwischen 18 Jahre alten Angeklagten über eine Freundin und in weiterer Folge über Snapchat kennengelernt. Beim ersten Treffen kam es zum Sex in einem Stiegenhaus, wie die Staatsanwältin schilderte. Der Bursch habe darum gebeten, was das Mädchen ablehnte: "Der Angeklagte blieb beharrlich. Das Mädchen fühlte sich unter Druck gesetzt." Daher habe die damals Zwölfjährige am Ende nachgegeben, berichtete die Staatsanwältin.
In weiterer Folge lernte die Betroffene die anderen Angeklagten kennen und habe mit sämtlichen zehn Burschen bei teilweise wöchentlichen Treffen in unterschiedlichen Konstellationen Sex gehabt, wie die Anklägerin darlegte. Sie habe "sich bedrängt gefühlt" und "keinen Ausweg" gesehen. Die Angeklagten hätten sich ihr als "gewaltbereite Truppe präsentiert", ihr Videos mit Gewalttätigkeiten gezeigt. Daher sei sie immer wieder der Aufforderung zum Sex nachgekommen. Für die Staatsanwältin war das auf "Einschüchterungen und die zahlenmäßige Überlegenheit der Angeklagten" zurückzuführen.
Die Tathandlungen hätten erst aufgehört, "als das Opfer die Wohnung nicht mehr verlassen durfte", erklärte die Anklägerin. Die Mutter habe das Mädchen nicht mehr nach draußen gelassen.
Die Verteidiger ließen die Version der Staatsanwältin nicht gelten, wobei sich ihre Mandanten unterschiedlich, aber allesamt nicht geständig verantworteten. Einige bestritten, dass sie überhaupt sexuelle Handlungen vorgenommen hatten. Einer behauptete, er habe nur zugesehen, aber sich nicht beteiligt. Die Mehrheit betonte, das Mädchen habe freiwillig mitgemacht, sich als 14 ausgegeben und in einem Fall einer Freundin sogar von den "schwarzen Locken" eines angeklagten Burschen vorgeschwärmt.
Verteidiger: "Wir sind am falschen Ort"
"Das Opfer tut mir leid", sagte Mirsad Musliu, der Verteidiger eines 16-Jährigen, "aber wir sind am falschen Ort." Was das inkriminierte Geschehen anlangt, sei "strafrechtlich überhaupt nichts passiert, auch wenn es moralisch traurig ist." Sein Mandant habe das Mädchen "umarmt und gestreichelt, bis sie Ja gesagt hat. Ich sehe kein Ausnutzen, ich sehe keine Abwehrhandlungen, ich sehe keinen Zwang."
In dieselbe Kerbe schlug Manfred Arbacher-Stöger, der Verteidiger eines 18-Jährigen: "Sie ist 20 Mal freiwillig mitgegangen in Stiegenhäuser, zum Tichy (Eisgeschäft, Anm.) und in die Wohnung. Das kann strafrechtlich nicht relevant sein." Dessen ungeachtet habe man "zehn Leute angeklagt und an den Pranger gestellt. Das ist unpackbar." Arbacher-Stöger ortete beim betroffenen Mädchen ein "disfunktionales Familiensystem". "Dem Mädl gehört geholfen. Aber in einer Psychotherapie und nicht am Strafgericht."
Von den Angeklagten sind fünf bereits gerichtlich vorbestraft. Ein 17-Jähriger wurde schon zwei Mal wegen schweren Raubes verurteilt, zuletzt kassierte er im Dezember 2024 27 Monate Haft, davon neun Monate unbedingt. Der 21-Jährige hatte im Sommer 2022 wegen schweren Raubes 21 Monate teilbedingt ausgefasst, ein heute 16-Jähriger wegen desselben Delikts 2023 eine Bewährungsstrafe. Ein unbescholtener 19-Jähriger antwortete auf die Frage des vorsitzenden Richters nach allfälligen Vorstrafen betont lässig: "Keine Ahnung, hab' ich vergessen". Darauf hin beschied der Richter ihm und den anderen Angeklagten: "Ich glaube, dass es vernünftig wäre, das Ganze ernst zu nehmen und nicht ins Lächerliche zu ziehen."
Alle Angeklagten auf freiem Fuß
Sämtliche Angeklagte befinden sich auf freiem Fuß. Ein gebürtiger Bulgare, der inzwischen wieder in seiner Heimat lebt, was ihm von Boulevardmedien als Versuch ausgelegt wurde, sich dem Verfahren zu entziehen, war rechtzeitig zur Verhandlung angereist. Der Prozess ist auf zwei Tage anberaumt und wird am Freitag fortgesetzt.
Obwohl seitens des Gerichts ein Fotografier- und Filmverbot verhängt worden war, erwartete die Angeklagten am Weg zum Gerichtssaal eine Art Spießrutenlauf. Zahlreiche Fotografen und Kameramänner hatten sich vor dem Saal postiert und lichteten die Angeklagten ab, die sich teilweise bemühten, zumindest ihre Gesichter zu verbergen, indem sie die Kapuzen ihrer Hoodies über den Kopf zogen oder sich Mappen vors Gesicht hielten. "Keine Fotos", appellierte Timo Gerersdorfer, einer der Verteidiger, als er mit seinem Mandanten erschien. Seine Bitte wurde ignoriert. Vielmehr wurde in den Saal "hineingeblitzt", als er die Tür öffnete. Aufgrund dessen hat das Gericht am zweiten Verhandlungstag am Freitag im gesamten Gebäude ein Film- und Fotografierverbot verhängt.
Die Verhandlung wird am Freitag mit Zeugenbefragungen fortgesetzt. Im Fall von Schuldsprüchen drohen den beiden Angeklagten, denen geschlechtliche Nötigung angekreidet wird, unter Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes bis zu zweieinhalb Jahre Haft. Die übrigen Beschuldigten müssten bei einer anklagekonformen Verurteilung jeweils mit bis zu einem Jahr Haft rechnen.
(APA/Red)