Fragen und Antworten vor möglichem EU-Defizitverfahren

Lange galt Österreich als frugaler Musterknabe in Brüssel. Mittlerweile hat sich der Wind gedreht: Die EU-Kommission hat im Juni ein EU-Defizitverfahren empfohlen, über das am Dienstag die EU-Finanzminister entscheiden. Die Republik macht mehr Schulden als erlaubt. Das Defizit lag 2024 bei 4,7 Prozent und heuer bei 4,5 Prozent des BIP und somit klar über der erlaubten Maastricht-Grenze von drei Prozent. Es muss wieder unter drei Prozent gebracht werden.
Warum greift die EU bei zu hoher Verschuldung ein?
Fehlentwicklungen in der Wirtschaftspolitik können Rückwirkungen auf alle Mitgliedstaaten haben. Um diese früh zu erkennen und gegensteuern zu können, gibt es das sogenannte Europäische Semester, einen Monitoring- und Koordinationsprozess. Die Regeln für diesen Prozess sind im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegt. Er ist der Rahmen für die Koordinierung und Überwachung der Finanzpolitik der einzelnen EU-Länder.
Er setzt sich aus einem sogenannten präventiven und einem korrektiven Arm zusammen. Der präventive Teil soll insbesondere Etatdisziplin und damit vorsorglich die Vermeidung übermäßiger Defizite gewährleisten. Liegt dennoch ein übermäßiges Defizit in einem Mitgliedstaat vor, setzt der korrektive Arm an. Bei übermäßiger Verschuldung kann ein Defizitverfahren eingeleitet werden, das exzessive Staatsschulden abbauen soll.
Welche Fristen gilt es zu beachten?
Die EU-Kommission erstellt einen Bericht, in dem ein übermäßiges Defizit festgestellt wird. In einem zweiten Schritt muss der Rat der EU-Finanzminister die Einschätzung der Kommission billigen, dies dürfte am Dienstag passieren. Die EU-Kommission gibt Defizitsündern einen Pfad vor, wie sie die Verschuldung in den nächsten Jahren abbauen können. Dieser Referenzpfad deckt einen Zeitraum von vier Jahren ab, der bei entsprechenden Reform- und Investitionsvorhaben auf Antrag eines Staats auf bis zu sieben Jahre verlängert werden kann.
Laut der von der Kommission vorgeschlagenen Ratsempfehlung wird Österreich eine Frist bis zum 15. Oktober 2025 gesetzt, um aktiv zu werden und die notwendigen Maßnahmen vorzulegen. "Danach sollte Österreich mindestens alle sechs Monate über die Fortschritte bei der Umsetzung dieser Empfehlung berichten, und zwar im Frühjahr im Rahmen seines jährlichen Fortschrittsberichts und im Herbst im Entwurf des Haushaltsplans, bis das übermäßige Defizit korrigiert worden ist", heißt es weiter. Österreich sollte daher das übermäßige Defizit bis 2028 beseitigen.
Wie ist die Haltung der Regierung?
Vor allem die ÖVP von Bundeskanzler Christian Stocker hat lange versucht, ein EU-Defizitverfahren zu vermeiden. Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) betonte zuletzt jedoch, dass er keine Angst vor dem Verfahren habe und dieses auch kein Damoklesschwert über Österreich sei. Das Verfahren "bedeutet im wesentlichen, dass wir mit der Kommission einen Abbauplan vorlegen und laufend Informationen austauschen", wie den Fiskalstrukturplan. Dass auf der politischen Ebene von einigen von "Besachwaltung" gesprochen werde, habe "nichts mit der Realität zu tun".
Das Budgetdefizit soll heuer auf 4,5 Prozent des BIP sinken und im nächsten Jahr 4,2 Prozent betragen, 2028 will die Regierung wieder aus dem EU-Defizitverfahren herauskommen. Der Konsolidierungsbetrag soll heuer 6,4 Milliarden betragen, im kommenden Jahr 8,7 Milliarden. Laut Marterbauer sind rund ein Drittel einnahmenseitig, der Rest ausgabenseitig.
Welche Vorteile hat ein Defizitverfahren?
Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und IHS-Direktor Holger Bonin haben sich für ein EU-Defizitverfahren gegen Österreich anstatt eines radikalen Sparkurses ausgesprochen, damit die Konjunktur nicht abgewürgt wird. Ein Defizitverfahren bietet in der Regel mehr Flexibilität, wenn außergewöhnliche wirtschaftliche oder finanzielle Krisen eintreten (z.B. Rezession, Naturkatastrophen oder unerwartete geopolitische Spannungen). In solchen Fällen erlaubt die EU, dass ein Land vorübergehend das Defizit überschreitet, um die Wirtschaft zu stabilisieren und notwendige Konjunkturmaßnahmen zu ergreifen. Eine strikte Begrenzung würde in solchen Zeiten zusätzliche Belastungen schaffen, da das Land möglicherweise gezwungen wäre, in einer Krise Kürzungen vorzunehmen oder Steuern zu erhöhen, was die Erholung verlangsamen könnte.
Gibt es Sanktionen, wenn Anforderungen nicht erfüllt werden?
Im Rahmen eines Defizitverfahrens können Sanktionen gegen einen Defizitsünder verhängt werden, wenn dieser die an ihn gestellten Anforderungen zur Korrektur eines übermäßigen Defizits nicht erfüllt. Bei Nichteinhaltung könnten am Ende Geldstrafen in Milliardenhöhe fällig werden - was allerdings noch nie vorkam.
Ist Österreich der einzige EU-Defizitsünder?
Nein, ganz im Gegenteil. Die EU-Kommission leitete im Juni 2024 gegen sieben Länder ein EU-Defizitverfahren ein. Darunter waren auch Frankreich und Italien - immerhin die zweit- und drittgrößte Volkswirtschaft innerhalb der Europäischen Union. Neben Frankreich und Italien sind auch Belgien, Ungarn, Malta, Polen und die Slowakei betroffen. Auch gegen Rumänien ist ein Verfahren anhängig.
Für Österreich ist es das zweite EU-Defizitverfahren. Das Erste war im Zuge der Nachwehen der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 eröffnet worden.
(APA/Red)