Der stille Orden, der einen Papst hervorbrachte

Der Name ist kaum präsent in der kirchlichen Alltagswahrnehmung. Und doch steht der Augustinerorden seit dem 13. Jahrhundert für eine spirituelle Kraft, die nun, mit der Wahl von Robert Francis Prevost zum Papst, erstmals auch das höchste Amt der katholischen Kirche erreicht. Es ist ein Moment historischer Dimension – und Anlass, einen Blick auf diesen oft übersehenen Orden zu werfen.
Eine Gemeinschaft auf den Spuren Augustins
Gegründet im Jahr 1256 unter Papst Alexander IV., vereinte der Augustinerorden ursprünglich mehrere Eremitengemeinschaften Italiens. Der Zusammenschluss stand im Zeichen einer Reform: Das Ziel war ein gemeinschaftliches Leben nach der Regel des heiligen Augustinus von Hippo. Augustinus, ein Kirchenvater des 4. Jahrhunderts, war selbst kein Ordensgründer, doch seine Schriften wurden zur geistigen Basis für ein Leben in brüderlicher Eintracht, ohne Privateigentum und mit dem Fokus auf Gebet, Bildung und Nächstenliebe.

Der Augustinerorden war damit der vierte große Bettelorden des Hochmittelalters, nach den Franziskanern, Dominikanern und Karmeliten. Während andere Orden stärker missionarisch oder kontemplativ auftraten, lag die Stärke der Augustiner stets in ihrer inneren Ausgeglichenheit: intellektuell verankert, seelsorglich engagiert, gemeinschaftlich organisiert.
Demokratische Strukturen, weltweite Präsenz
Schon früh zeichnete sich der Orden durch eine demokratische Organisation aus. Jedes Kloster besitzt ein eigenes Kapitel, in dem alle Brüder mitbestimmen können. Die Provinzen treffen sich regelmäßig in Kapitelversammlungen, der Generalprior wird gewählt und vom Papst bestätigt.
Augustiner in Österreich: Aktuelle Aktivitäten und Standorte
Aktuelle Präsenz
Die Augustiner-Eremiten (OSA) sind heute in Österreich mit einer einzigen Niederlassung vertreten: dem Augustinerkloster an der Wiener Augustinerkirche in der Hofburg.
Historisch gab es deutlich mehr Klöster: Im 17. Jahrhundert bestanden bis zu 14 Konvente. Nach den josephinischen Klosterreformen und der Säkularisation verschwand der Orden jedoch für über 100 Jahre vollständig aus Österreich. Erst 1951 kehrten die Augustiner mit der Übernahme der Wiener Augustinerkirche zurück.
Weitere Ordensgemeinschaften nach Augustinusregel
Neben den Augustiner-Eremiten gibt es die Augustiner-Chorherren, die in sechs selbstständigen Stiften in Österreich und Südtirol aktiv sind. Diese Gemeinschaft ist jedoch ein eigenständiger Orden mit anderer Struktur und Geschichte.
Schwerpunkte und Angebote
In Wien bieten die Augustiner neben Gottesdiensten auch Gesprächsseelsorge, Chorgebet und Gastaufenthalte im Rahmen von „Kloster auf Zeit“ an.
Das Augustiner-Vikariat Wien-Maria Trost ist heute selbständig und umfasst auch Niederlassungen in Deutschland.
Zusammenfassung
- Die Augustiner-Eremiten sind aktuell ausschließlich in Wien präsent.
- Die Augustiner-Chorherren betreiben mehrere Stifte, sind aber eine eigenständige Ordensgemeinschaft.
Heute ist der Orden mit rund 2.700 Mitgliedern weltweit präsent. Seine Aktivitäten reichen von Seelsorge und Bildungsarbeit bis zu sozialen Diensten. Besonders aktiv ist der Orden in Lateinamerika, Afrika, den USA, aber auch in Europa – mit Niederlassungen in Deutschland, Österreich und Spanien. In einer Zeit, in der die Kirche oft als hierarchisch und starr wahrgenommen wird, wirkt das gelebte Modell des Augustinerordens erstaunlich zeitgemäß.
Der stille Einfluss: Bildung, Theologie – und Reformation
Auch wenn der Orden in der öffentlichen Wahrnehmung hinter Jesuiten oder Franziskanern zurücksteht, ist sein Einfluss auf Theologie und Gesellschaft beträchtlich. Der wohl bekannteste Augustiner war Martin Luther, der seine theologische Ausbildung im Orden erhielt, bevor er sich von Rom abwandte. Auch der Philosoph Gregor von Rimini oder der Humanist Egidio da Viterbo trugen dazu bei, dass augustinisches Denken – insbesondere die Betonung der göttlichen Gnade – die Geistesgeschichte Europas prägte.
Die Ordensregel verlangt von den Mitgliedern Demut, Gehorsam, Keuschheit und den Verzicht auf Eigentum. Doch sie ist keine bloße Sammlung moralischer Gebote – sondern Ausdruck einer gemeinschaftlich getragenen Lebensweise, die bis heute gepflegt wird.
Vom Chicagoer Vorort ins Zentrum der Weltkirche
Robert Francis Prevost ist kein lauter Mann. Geboren 1955 in Chicago, trat er bereits nach seinem Mathematikstudium der Gemeinschaft der Augustiner bei, wurde 1982 zum Priester geweiht und promovierte in Kirchenrecht. Später leitete er den Orden als Generalprior und war bis zuletzt Präfekt der vatikanischen Bischofskongregation – ein Schlüsselamt, in dem er weltweit für die Ernennung von Bischöfen verantwortlich war. Dass nun ein US-Amerikaner und Augustiner die Kirche führen soll, wäre vor wenigen Jahren noch kaum vorstellbar gewesen.
Gab es schon einmal einen Augustiner-Papst?
Ja – aber mit einer wichtigen Unterscheidung:
- Papst Eugen IV. (1383–1447) gehörte den Regularkanonikern des heiligen Augustinus an, nicht dem Orden der Augustiner-Eremiten (OSA).
- Er war Papst von 1431 bis 1447 und spielte eine zentrale Rolle beim Konzil von Basel und in kirchenpolitischen Auseinandersetzungen seiner Zeit.
- Die Regularkanoniker leben ebenfalls nach der Augustinusregel, stellen aber eine eigenständige Ordensgemeinschaft dar.
Robert Francis Prevost ist daher der erste Papst, der aus dem Orden der Augustiner-Eremiten (OSA) stammt – dem klassischen Bettelorden, dem auch Martin Luther einst angehörte.
Mit Prevost steht ein Papst an der Spitze der katholischen Kirche, der in einer geistlichen Tradition verwurzelt ist, die das Gleichgewicht sucht: zwischen Gemeinschaft und Individualität, Gnade und Verantwortung, Struktur und Spiritualität.
Mehr als eine historische Fußnote
Die Wahl von Prevost ist kein bloßer Zufall. Sie zeigt, dass auch vermeintlich stille Orden bedeutende Stimmen in der Kirche bleiben. Der Augustinerorden hat nie auf große Inszenierung gesetzt – aber auf gelebte Theologie, Bildung und Nähe zum Menschen. Vielleicht ist genau das in einer Zeit der Polarisierungen das stärkste Argument für seinen neuen Einfluss. (VOL.AT)
Merkmale und Lebensweise
Ordensregel und Spiritualität
- Gemeinschaftliches Leben in Eintracht („ein Herz und eine Seele“)
- Gott- und Nächstenliebe als zentrale Gebote
- Evangelische Armut, Demut, selbstlose Dienstbereitschaft und Herzensgüte
- Keuschheit, Gehorsam und Verzicht auf Privatbesitz
- Wertschätzung von Gebet, Bibelstudium und gegenseitiger Vergebung
Struktur und Organisation
- Der Orden ist demokratisch organisiert
- Jedes Kloster (Konvent) hat ein Hauskapitel mit Mitbestimmung aller Brüder
- Klöster sind zu Provinzen zusammengeschlossen, es gibt regelmäßige Provinzial- und Generalkapitel
- Der Generalprior als Ordensoberhaupt wird gewählt und vom Papst bestätigt
Äußeres Erscheinungsbild
- Traditionelle Ordenskleidung: schwarzer Habit, Ledergürtel und schwarze Kapuze