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Gedenken an Holocaust-Opfer in Wien

Internationaler Holocaust-Gedenktag.
Internationaler Holocaust-Gedenktag. ©APA/HELMUT FOHRINGER (Symbolbild)
Am Montag wurde anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktags im Wiener Parlament der Opfer des Nazi-Regimes gedacht

Auf politische Reden wurde heuer verzichtet. Stattdessen gab es einen Dialog von Schülern mit der Zeitzeugin Erika Freeman. Die heute 97-Jährige war als 12-Jährige in die USA geflüchtet und dort später zu einer prominenten und anerkannten Psychotherapeutin geworden.

In den vergangenen 20 Jahren war Freeman verstärkt wieder in Österreich, um sich als Zeitzeugin gegen das Vergessen zu engagieren. Der deutsche Moderator und Kabarettist Dirk Stermann widmete ihr einen Roman, der am Montag in Auszügen von Schauspielerin Maria Köstlinger im Parlament vorgelesen wurde.

Freeman warb für Menschlichkeit

Freeman selbst warb für Menschlichkeit: "Wenn du etwas Gutes tut, tut es dir gut." Man könne nicht jeden lieben, aber man könne zu jedem nett sein - "höflich sein ist auch nicht schlecht". Auch die Hoffnung sollte man aus ihrer Sicht nicht verlieren: "Dass ich hier sitze, ist wirklich das Wunder der Welt."

Eingeladen zu der Gedenkveranstaltung hatte das Nationalratspräsidium. Wegen Dienstreisen verhindert waren der Zweite Präsident Peter Haubner (ÖVP) sowie die Dritte Präsidentin Doris Bures (SPÖ). Anwesend war neben Bundesratspräsident Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP) und Vertretern aller Parteien somit nur Präsident Walter Rosenkranz (FPÖ). Jüdische Organisationen hatten zu einem Boykott der Veranstaltung aufgerufen, da die Einladung unter anderem von dem freiheitlichen Burschenschafter ausgegangen war.

Bücher-Protest gegen die ÖVP

In die Pflicht genommen wurde auch die ÖVP. Aus Protest gegen deren Regierungsverhandlungen mit den Freiheitlichen wurde einem VP-Vertreter von Alon Ishay, Präsident der Jüdischen österreichischen HochschülerInnen, ein Schulbuch für Geschichte übergeben.

Bereits zuvor gab es erneut zahlreiche Appelle und Mahnungen zum 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) mahnte, dass es "gerade in diesen Zeiten" Verantwortung und Verpflichtung sei, sich für eine aktive Erinnerungskultur einzusetzen. "Jede und jeder muss gegen Antisemitismus auftreten, denn nur so können wir sicherstellen, dass aus einem 'Nie vergessen' auch tatsächlich ein 'Nie wieder' wird", so Edtstadler in einer Stellungnahme.

Babler und Kogler warnen vor FPÖ

SPÖ-Chef Andreas Babler warnte anlässlich des Gedenktags vor dem europaweiten "Rechtsruck und damit verbundenen Angriffen auf Demokratie und Menschenrechte". Angesichts dessen sei besonders wichtig, "die Demokratie zu schützen und den Zusammenhalt zu stärken", so Babler laut Aussendung mit Blick auf die "Kickl-FPÖ", die vielfältige und enge Verbindungen zu Rechtsextremen habe und die Demokratie gefährde. Ähnliche Mahnungen kamen auch von Grünen-Chef Werner Kogler: "Es liegt an uns, die Verpflichtung zur Erinnerung einzulösen. Gerade jetzt, wo einem Rechtsextremen das Tor zum Kanzleramt aufgestoßen werden soll. Dabei lädt die ehemals staatstragende Partei ÖVP unter Missbrauch von Wähler:innenstimmen eine historische Schuld auf sich", so Kogler im Kurznachrichtendienst X.

Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl äußerte sich mit mahnenden Worten. Das "Erinnern an dieses dunkelste Kapitel der Geschichte unseres Landes" müsse vor allem Mahnung dafür sein, "stets für unsere Freiheit, unsere Demokratie sowie ganz besonders für die Würde des Menschen einzustehen". Der Politik komme dabei die besonders große Verantwortung zu, "sämtlichen Arten von Extremismus den Nährboden zu entziehen und eine stabile, lebendige Demokratie sicherzustellen", so Kickl in einer Aussendung und nannte insbesondere die Verteidigung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Gedenken am Wiener Heldenplatz

Während die Staatsspitze vertreten durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Kanzleramtsministerin Susanne Raab (ÖVP) gemeinsam mit IKG-Präsident Oskar Deutsch am Montag an der internationalen Gedenkfeier in Auschwitz teilnimmt, wird in Wien die Vizepräsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Claudia Prutscher am Abend bei einer Veranstaltung von "JetztZeichenSetzen" am Heldenplatz sprechen. Die IKG warnte zuletzt mehrfach vor den Freiheitlichen und lud diese nicht zu Gedenkveranstaltungen ein.

Auch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) gedachte am Montag der Opfer des Holocaust und sprach von einer Mahnung "Menschenwürde und Menschenrechte zu schützen und verfassungsmäßige Grundrechte gegen jegliche Art von Extremismus zu bewahren". Die Zeugen Jehovas erinnerten nicht nur an die Opfer des Nationalsozialismus aus den eigenen Reihen sondern auch an die aktuelle Verfolgung der Glaubensgemeinschaft in Eritrea und Russland. Die Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG) gedachte ebenfalls der Millionen Opfer des Nationalsozialismus und appellierte: "Wir müssen verhindern, dass 'alte' und 'neue' Formen des Antisemitismus und Rassismus alltägliche Begleiter werden."

Gedenken an Holocaust-Opfer in Wiener UNO-City

Am 80. Jahrestag der Befreiung des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz, ist bei einer Gedenkzeremonie in der UNO-City in Wien der Opfer gedacht worden. UNOV-Generaldirektorin Ghada Waly verlas eine Botschaft von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, der dazu aufrief, "niemals zu vergessen". Israels Botschafter in Wien, David Roet, und der Holocaust-Überlebende Dirk Adler erzählten unterdessen die Geschichten ihrer getöteten Angehörigen in der Rotunde des UNO-Gebäudes.

Musikalisch untermalt wurde die Veranstaltung am Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts von alten, hebräischen Volksliedern. Der Kantor der israelischen Kultusgemeinde (IKG), Shmuel Barzilai, sprach nach dem Entzünden von Gedenkkerzen ein Totengebet. Die Fahnen der 193 UNO-Mitgliedsstaaten im Innenhof der UNO-City wurden abgenommen. Guterres erinnerte in seiner zum Eingang der Veranstaltung verlesenen Note, dass Antisemitismus auch 80 Jahre nach dem Holocaust nicht verschwunden sei. Das Erinnern an die Gräuel der Nationalsozialisten während der Shoah sei eine moralische Pflicht.

Der seit 2023 als Botschafter in Wien amtierende Roet, selbst Sohn eines Holocaust-Überlebenden, verlas die Liste seiner in Auschwitz getöteten Angehörigen. "Das erste Mal, als meine Familie sich wirklich frei gefühlt hat, war, als sie israelischen Boden betreten hat. Mit Trauma umgehen, ist in unserer DNA", sagte er in Anspielung auf das Hamas-Massaker an israelischen Zivilisten am 7. Oktober 2023. Roet warnte in seiner Rede vor einer erneuten Normalisierung des Antisemitismus in Europa. "Auch der Holocaust entstand nicht aus dem luftleeren Raum", schloss er.

Im Umkreis des Rednerpults waren einige der wenigen Fotoaufnahmen ausgestellt, die den NS-Massenmord in Auschwitz belegen. Viele von ihnen wurden von Häftlingen aufgenommen, die damit ihr Leben riskierten. Die Aufnahmen dienten unter anderem als Beweisstücke in den Ausschwitzprozessen nach Kriegsende.

Holocaust-Überlebender Adler überlebte durch Zufall

Die meiste Redezeit gehörte dem Holocaust-Überlebenden Dirk Adler. Der Zweite Weltkrieg habe sein Leben "für immer verändert", sagte der 84-Jährige. Der 1940 in Amsterdam geborene Adler verlor beide Elternteile in Auschwitz. Seine Mutter wurde vergast, sein Vater starb nach Monaten schwerer Zwangsarbeit an Erschöpfung. Tante und Onkel, die mit den beiden einen Fluchtversuch mit Widerstandskämpfern antraten, wurden ebenfalls ermordet.

Adler überlebte durch Zufall. Weil eine Mitnahme des damals zweijährigen Kindes vom Widerstand als zu riskant für die Flucht erachtet wurde, wurde er in Haarlem einer entfernt verwandten Familie übergeben. In ihrer Obhut überlebte er den NS-Massenmord, versteckt unter den anderen Kindern der Adoptivfamilie. Später wohnte der heute 84-Jährige in Kolumbien, Israel und Österreich. Einige Jahre diente Adler in den israelischen Streitkräften.

Am 27. Jänner 1945 befreiten sowjetische Soldaten das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz im von der Wehrmacht besetzten Polen. Die Nazis hatten rund 1,3 Millionen Menschen in das Lager verschleppt. Etwa 1,1 Millionen wurden getötet, darunter etwa eine Million europäische Juden. Seit 1996 ist der 27. Jänner internationaler Gedenktag für die Opfer des Holocausts.

(APA/Red)

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