AA

Vom Terroristen zum "Helden": Wer ist Abu Mohammed al-Jolani?

AP Photo/Omar Albam; APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR
AP Photo/Omar Albam; APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR
Mit dem Ziel, das Regime von Syriens Machthaber Bashar al-Assad zu stürzen, verzeichnet die Rebellenallianz in Syrien im rasanten Tempo täglich neue Gebietsgewinne.
Jihadisten kontrollieren Aleppo – Zehntausende auf der Flucht

An ihrer Spitze steht der Anführer der Islamistengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS), Abu Mohammed al-Jolani.

Kopfgeld von fast 10 Mio. Dollar auf Jolani ausgesetzt

Die USA haben schon vor Jahren ein Kopfgeld von zehn Millionen US-Dollar (9,49 Mio. Euro) für ihn ausgeschrieben. Doch in den letzten Jahren hat der heute 42-jährige Islamistenanführer an einem persönlichen Imagewechsel gearbeitet.

Bashaar al-Assad ©AFP/JOSEPH EID

Heute präsentiert er sich als moderater Anführer. Beobachter sehen in ihm einen vermeintlichen "Sicherheitsgaranten". Trotz voriger Rufe nach einem Sturz von Jolani wächst der Zuspruch innerhalb der Bevölkerung mittlerweile wieder mit jedem weiteren Vorstoß gegen die Regierungstruppen von Assad.

Anfänge im Irak

2003 schloss sich der Syrer Jolani, der mit bürgerlichen Namen Ahmed Hussein al-Sharaa heißt, extremistischen Gruppen im Irak an, um gegen US-Truppen zu kämpfen. Aus Anhängern des Terrornetzwerks Al-Kaida formte sich dort die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS). Jolanis Kampfname weist auf die Herkunft seiner Familie von den von Israel annektierten Golan-Höhen hin.

Abu Mohammed al-Jolani ©APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR

Mit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2011 bekam auch Jolani mehr Verantwortung. IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi schickte ihn zurück in sein Heimatland, um dort die sogenannte Al-Nusra-Front - einem einstigen Ableger Al-Kaidas in Syrien - zu führen. Im syrischen Bürgerkrieg kämpfte sie zunächst unter anderem gegen Regierungstruppen von Präsident Assad und kurdische Milizen.

Später kam es zum Bruch sowohl mit dem "Islamischen Staat" als auch mit Al-Kaida, die 2014 selbst zu gegenseitigen Rivalen wurden. Jolani wollte sich von den transnationalen Ambitionen seiner einstigen Verbündeten lossagen und sich stattdessen auf den Kampf in Syrien selbst konzentrieren. Mit dem Bruch gingen Jolanis Kämpfer hart gegen jegliche jihadistischen Gruppen im Nordwesten Syriens vor.

Die Al-Nusra-Front hat seitdem mehrere Wandlungen vollzogen und ihre Ideologien immer wieder angepasst. Heute ist sie bekannt als HTS, der Organisation zur Befreiung (Groß-)Syriens.

Imagewechsel im Bürgerkrieg

"Der Mann ist sehr daran interessiert, zu herrschen", sagte der in Schweden lebende Analyst Orwa Ajjoub der Deutschen Presse-Agentur. Ajjoub forscht seit Jahren zum syrischen Konflikt und Jihadismus. HTS habe unter Führung Al-Jolanis relativ erfolgreich eine Art Alternativregierung der syrischen Opposition im Nordwesten des Bürgerkriegslands aufgebaut.

Das Land ist heute völlig gespalten. Assad kontrollierte zuletzt mit Hilfe seiner Verbündeten Russland und Iran etwa zwei Drittel des Landes. Oppositionskräfte wie HTS dominieren Teile des Nordwestens und Nordostens.

Sowohl die USA als auch die Europäische Union stufen Jolanis Gruppe HTS weiter als Terrororganisationen ein. HTS ist eine autoritäre bewaffnete Gruppe. Ihr wurde in den vergangenen Jahren unter anderem Folter, andere Formen der Gewalt und Vertreibung von Minderheiten vorgeworfen.

Die internationale Gemeinschaft betrachtet ihn Ajjoubs Einschätzungen zufolge dennoch auch als "Garant für Sicherheit". Für den Westen stelle er gerade kein Risiko dar. Über die Jahre sei es dem HTS-Anführer gelungen, gute Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft aufzubauen. "Aber natürlich nicht öffentlich", so Ajjoub. Der "Islamische Staat" und Al-Kaida seien Geschichte für ihn.

Jolani - Politiker an der Spitze einer Miliz

Das bringe vor allem für die Türkei Vorteile. Ein großes Anliegen des Nachbarlands sei es, die zahlreichen syrischen Flüchtlinge im eigenen Land wieder zurück in ihr Heimatland schicken zu können. Aus Sicht der Türkei biete Jolanis relativ stabile Regierungsführung Sicherheit für die Bewohner. Auch Jolanis gezielte Bekämpfung von IS- und Al-Kaida-Zellen sei dabei hilfreich.

Nach eigenen Aussagen plant Jolani in Syrien ein auf Institutionen basierendes Regierungssystem zu errichten. Nicht eines, in dem ein einzelner Herrscher willkürlich Entscheidungen treffe, sagte dem US-amerikanischen TV-Sender CNN. "Wir sprechen nicht über die Herrschaft von Einzelpersonen oder persönliche Launen", so Jolani.

Riad Kahwaji, Gründer des Militärinstituts INEGMA in Dubai, sieht in Al-Jolanis Transformation vor allem auch Opportunismus. Er inszeniere sich heute als "nationalistische Figur", die keine extremistischen Ansichten nicht mehr vertritt und zur Einheit und Koexistenz mit anderen Minderheiten aufrufe. Er sehe sich als Politiker, der eine Miliz anführt.

Zur Transformation mag auch ein aktueller Namenswechsel beitragen. Zuletzt ließ er sich zum ersten Mal öffentlich auf dem HTS-Telegramkanal mit seinem Klarnamen statt mit seinem Kampfnamen zitieren.

Von Protesten gegen ihn zum "Local Hero"

Den vollen Rückhalt der Bevölkerung hatte Jolani bis zur Offensive der Rebellen nicht. "Er hat viele politische Aktivisten und seine Gegner festgenommen und in Gefängnisse gesteckt", sagte Experte Ajjoub. Seit etwa einem Jahr habe es immer wieder Proteste gegen ihn gegeben. "Als die Offensive begann, ist es ihm jedoch gelungen, all diese Menschen um sich herum zu mobilisieren", so Ajjoub.

Die meisten Kämpfer der Rebellenallianz seien aus Homs, Hama und anderen Gebieten zuvor vertrieben worden. Sie kämpften nun um ihr eigenes Land. "Vom ersten Tag an habe ich von Menschen in Idlib gehört, jetzt ist nicht die Zeit für Demonstrationen, jetzt ist die Zeit zum Kämpfen."

Er habe sich in einen "lokalen Helden" verwandelt und womöglich auch in eine tragende Figur über die Grenzen von Syrien hinaus, weil viele Menschen gerne sehen würden, dass das syrische Regime gestürzt wird.

Der Konflikt begann 2011 mit Protesten gegen die Regierung Assads. Sicherheitskräfte gingen dagegen mit Gewalt vor. Hunderttausende Menschen kamen bisher ums Leben, mehrere Millionen wurden vertrieben.

(APA/dpa)

  • VIENNA.AT
  • Politik
  • Vom Terroristen zum "Helden": Wer ist Abu Mohammed al-Jolani?
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen