"My Fair Lady": Premiere für Musical Adaption bei Seefestspielen in Mörbisch

Es gestaltet sich heutzutage schwierig, die Geschichte zweier älterer Herren zu erzählen, die durch eine Wette eine junge Frau aus prekären Verhältnissen in eine echte Dame verwandeln. Zu überholt sind die Genderdarstellungen und die Verachtung für niedrigere Gesellschaftsschichten. Den Seefestspielen Mörbisch jedoch gelingt diese Meisterleistung.
Seefestspielen in Mörbisch gelingt stimmige Adaption des Musicals "My Fair Lady" aus 1956 ins Heute
Bei der Premiere des Seespiels am Donnerstag stellte das Team rund um Regisseur Simon Eichenberger unter Beweis, dass man das etwas angestaubte Moralstück der 50er Jahre mit gutem Willen und guten Ideen ins Jahr 2018 transportieren kann. Die Eliza Doolittle ist hier kein Cockney-Blumenmädchen, sondern ein Punk, der in der U-Bahn schnorrt. Dort liest sie der Phonologieprofessor Henry Higgins auf.
Es bleibt der kleine Irritationsmoment, dass der Punk Eliza im London des Jahres 2024 tiefstes Wienerisch spricht - zugleich stellt just dieser Umstand Interpreten des Stücks im deutschen Kulturraum immer schon vor Probleme. Die klare Schichtcharakteristik der Sprache ist im Deutschen weit schwächer als im Englischen vorhanden, weshalb nicht viel mehr bleibt, als auf Dialekt zurückzugreifen.
Und das funktioniert an den Gestaden des Neusiedler Sees. Nach einigen Schreckminuten adaptiert sich das Ohr und akzeptiert "East Simmering" als dialektale Herkunftsbezeichnung. Da werden Klassiker wie "With a Little Bit of Luck" zu "Wannst a Mazel host im Leb'n" und "Just You Wait Henry Higgins" zu "Wirst scho' seh'n Henry Higgins". Hinzu kommen auch musikalische Aufhübschungen, wenn die Klänge von Loewe teils mit Hip-Hop-Elementen aktualisiert werden.
Jungstar Anna Rosa Döller begeistert bei Seefestspielen in Mörbisch
Dass dieses Konzept aufgeht, liegt nicht zuletzt am herausragenden Jungstar Anna Rosa Döller (Jahrgang 2002). Die Niederösterreicherin macht als phonetische Wienerin einen tadellosen Eindruck, wandelt sich nahtlos vom Punk zur Prinzessin und präsentiert eine selbstbewusste Eliza, die sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt. Da muss sich Musicalstar Mark Seibert als Ungustl Henry Higgins ordentlich ins Zeug legen, um mitzuhalten.
Nicht zuletzt bekommt er mit Herbert Steinböck auch noch harte Konkurrenz auf der männlichen Darstellerseite. Der Kabarettist hebt seinen Vater Doolittle über den Part des bloßen Säufers und der Witzfigur aus der Unterschicht, über die sich abschätzig amüsiert wird, hinaus. Er gibt seinem Charakter etwas mehr Tiefe und Würde ohne deren Witz zu verlieren. Und Dolores Schmidinger darf als Queen Elizabeth einen charmanten Cameo-Auftritt absolvieren.
Dafür, dass die "Fair Lady" aber nicht nur zum psychologischen Kammerspiel über die Möglichkeit wird, sich im Leben weiterzuentwickeln, sorgt der mörbisch-erfahrene Bühnenbildner Walter Vogelweider. Im schnellen Wechsel folgen U-Bahn-Stationen (inklusive virtuell durchfahrender Metro), die Straßen Londons oder die Designerwohnung von Professor Higgins, während im Hintergrund der Big Ben grüßt. Das Einzige, das ausbleibt in der tropischen Hitze des Neusiedler Sees, waren am Donnerstagabend die kühlenden Nebelschwaden Londons. Das bleibt aber einer der wenigen Wünsche, die bei dieser Mörbischer "My Fair Lady" nicht erfüllt bleiben.
(APA/Red)