5 Szenarien: Was passiert, wenn es in Frankreich zu einem Rechtsruck kommt?
Die französischen Parlamentswahlen von 2024 stehen im Zeichen einer möglicherweise historischen Veränderung und es zeichnet sich bereits eine ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung ab. Die Wahl könnte die politische Landschaft Frankreichs entscheidend verändern, besonders im Hinblick auf die mögliche Bildung der ersten rechtspopulistischen Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg.
Aktuelle Wahlbeteiligung
Bis zum Mittag des Wahlsonntags hatten 25,90% der Wähler ihre Stimme abgegeben, ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu 18,43% um dieselbe Zeit bei der Wahl 2022. Dies deutet auf ein gesteigertes politisches Bewusstsein und die Dringlichkeit der aktuellen politischen Fragen hin. In den Überseegebieten, wo die Wahlen aufgrund der Zeitverschiebung früher beginnen, wurde ebenfalls eine höhere Wahlbeteiligung registriert. So meldete Neukaledonien eine Beteiligung von 32,4% und Französisch-Polynesien 18%, beides Anstiege im Vergleich zu den letzten Wahlen.
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Bedeutung der ersten Wahlergebnisse und wann diese erwartet werden?
Die ersten Ergebnisse, die gegen 20 Uhr erwartet werden, werden Aufschluss darüber geben, wie stark das Rassemblement National (RN) und andere politische Lager abschneiden. Die Umfragen vor der Wahl haben RN an der Spitze gezeigt, mit der Möglichkeit, ihre Sitze im Vergleich zu früheren Wahlen erheblich zu erhöhen. Das links-grüne Wahlbündnis "Nouveau Front Populaire" und Macrons Regierungslager folgen in den Umfragen. Nach manchen Umfragen hat der RN sogar Aussicht auf die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Dabei gibt es allerdings noch viele Variablen. Für eine absolute Mehrheit müsste die Partei - zusammen mit den Überläufern von den konservativen Republikanern - auf 289 der 577 Sitze kommen. Zuletzt hatte der RN lediglich 88 Abgeordnete.
Stichwahlen am 7. Juli 2024: Ein entscheidender Faktor
Wie genau das Parlament nach der Wahl aussehen wird, ist dennoch ungewiss. Die wenigsten der 577 Sitze werden im ersten Durchgang vergeben. Entscheidend sind in vielen Wahlkreisen die Stichwahlen in der zweiten Runde. Während bei der regulären Parlamentswahl vor zwei Jahren gerade einmal fünf Sitze in der ersten Runde errungen wurden, könnten dem Umfrageinstitut Ipsos zufolge dieses Mal bereits 80 bis 90 Sitze direkt gewonnen werden. Grund dafür wäre die erwartete höhere Wahlbeteiligung und eine stärkere Konzentrierung auf die drei politischen Bündnisse. Auch wenn Aussagen über die zweite Runde schwierig sind, gehen Prognosen davon aus, dass die Rechtsnationalen stärkste Kraft in der Nationalversammlung werden könnten. Ob es auch für eine absolute Mehrheit reichen könnte, ist unklar - auch, weil zwischen den beiden Wahlrunden oft lokal Bündnisse geschlossen werden, die den Ausgang beeinflussen. Während die Linken stabil bleiben könnten, dürfte Macrons Mitte-Lager Sitze verlieren.
Fotos/Bilderserie: Reuters
Mögliche politische Konsequenzen
Ein Sieg oder auch nur ein starkes Abschneiden des RN könnte weitreichende Folgen haben, nicht nur für die Innenpolitik Frankreichs, sondern auch für dessen internationale Beziehungen. Die Partei hat eine kritische Haltung gegenüber der EU und strebt eine restriktivere Migrationspolitik an, was zu Spannungen innerhalb Europas führen könnte. Sollte RN die Mehrheit erlangen, wäre Macron möglicherweise gezwungen, eine Kohabitation mit einem RN-Premierminister zu führen, was seine politische Agenda erheblich beeinträchtigen würde.
- Was ist eine Kohabitation? Die Kohabitation ist ein politischer Zustand, in dem der Präsident und der Premierminister aus unterschiedlichen politischen Lagern stammen, könnte erneut Realität werden. Dies war bereits unter verschiedenen Präsidentschaften der Fall, wie bei François Mitterrand und Jacques Chirac. In einer solchen Konstellation müsste Präsident Emmanuel Macron möglicherweise Jordan Bardella, den Parteichef des RN, zum Premierminister ernennen, falls der RN die Mehrheit sichert.

Die Parlamentswahlen in Frankreich könnten das politische Gefüge des Landes signifikant verändern. Mit dem möglichen Sieg des Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen stehen verschiedene Szenarien zur Diskussion, die weitreichende Folgen für die nationale und internationale Politik Frankreichs haben könnten.
Szenario 1: Absolute Mehrheit für RN
Sollte der RN eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erreichen, würde dies Marine Le Pen und ihrem Vize, Jordan Bardella, erlauben, die Regierung zu bilden. Bardella als Premierminister würde wahrscheinlich sofort eine Reihe von Reformen einleiten, die sich auf die Einwanderungspolitik, nationale Sicherheit und die Wirtschaftspolitik konzentrieren. Die RN würde versuchen, signifikante Änderungen durchzusetzen, was zu einer starken innenpolitischen Verschiebung führen könnte. Diese Situation würde Macron in eine weitgehend repräsentative Rolle drängen, in der seine Macht stark eingeschränkt wäre.
Szenario 2: RN gewinnt die Mehrheit, aber keine absolute Mehrheit
Falls die RN die meisten Sitze gewinnt, aber die absolute Mehrheit verfehlt, entsteht eine komplizierte politische Lage. Macron könnte gezwungen sein, Bardella als Premierminister zu ernennen, aber die RN hätte Schwierigkeiten, ihre politischen Ziele ohne die volle Kontrolle über die Nationalversammlung durchzusetzen. Dies könnte zu einer instabilen Regierungsperiode mit häufigen Auseinandersetzungen zwischen dem Präsidenten und dem Premierminister führen.
Szenario 3: Kein klarer Sieger und eine blockierte Nationalversammlung
Sollte kein politisches Lager eine klare Mehrheit erreichen, könnte Frankreich eine blockierte Nationalversammlung erleben. In diesem Fall könnte Macron versuchen, eine Minderheitsregierung zu bilden oder eine Koalition über das politische Spektrum hinweg zu schmieden. Dies könnte jedoch zu einer ineffektiven Regierungsführung führen, da keine Partei ausreichend Unterstützung für ihre Initiativen erhalten könnte.
Szenario 4: Die Bildung einer breiten Koalition oder Expertenregierung
Wenn die politische Lage besonders zersplittert ist, könnte eine große Koalition oder eine Regierung aus Technokraten eine mögliche Lösung sein. Diese Regierungsform wäre in der französischen Politik ungewöhnlich, könnte aber notwendig werden, um politische Handlungsunfähigkeit zu vermeiden. Diese Option würde jedoch wahrscheinlich nur als letzter Ausweg angesehen werden, da sie politisch heikel ist.
Szenario 5: Rücktritt von Präsident Macron
Obwohl unwahrscheinlich, könnte ein extremer politischer Druck oder eine vollständige Ablehnung seiner Politik durch die neue Mehrheit in der Nationalversammlung Macron zum Rücktritt zwingen. Dies wäre ein historisches Ereignis, das Frankreich in eine tiefe politische Krise stürzen könnte.
Auswirkungen dieser Szenarien
Jedes dieser Szenarien hätte spezifische Konsequenzen für die Innen- und Außenpolitik Frankreichs. Von einer Verschiebung in der EU-Politik bis hin zu einer Veränderung der globalen Ausrichtung Frankreichs könnten die Auswirkungen tiefgreifend sein. Insbesondere die Beziehungen zu anderen EU-Ländern und die geopolitische Positionierung könnten neu bewertet werden, abhängig davon, wer letztlich die Kontrolle in der Nationalversammlung und der Regierung hat. (VOL.AT)