Teenie mit Terror-Absichten am Hauptbahnhof kannte Wien-Attentäter

Er kannte seinen Angaben zufolge den Attentäter von Wien persönlich und betrachtete diesen als "Vorbild". Er wollte in Verfolgung seiner Terror-Pläne auch eine Pistole kaufen, bekam aber in einem Waffengeschäft in Wien keine.
Der 16-Jährige hatte anscheinend auch einen anderen Beteiligten, mit dem er seit dem 11. August 2023 über TikTok kommunizierte. Es wird vermutet, dass dieser Islamist sich in Deutschland aufhält und bislang nicht identifiziert werden konnte. Er ermutigte den Schüler aus Wien in seinen terroristischen Plänen, indem er ihm unter anderem mitteilte, dass er seine Bittgebete erfüllen werde, wenn er seine Vorhaben umsetze. Ursprünglich plante der 16-Jährige, nach einem Streit mit seinem Vater am 9. September sofort zur Tat zu schreiten. Jedoch musste er diesen Plan verschieben, da er zu diesem Zeitpunkt - an einem Wochenende - noch keine Waffe hatte. Das Kampfmesser konnte er erst am darauffolgenden Montag, dem 11. September, besorgen, da die Geschäfte wieder geöffnet hatten. Der 16-jährige Jugendliche bat seinen deutschen Chat-Partner, in einer Telegram-Gruppe, in der er den Anschlag angekündigt hatte, zu kommunizieren, dass dieser "auf den nächsten Tag verschoben" worden sei. Am 11. September fragte der deutsche Chat-Partner den Jugendlichen: "Hast du die Tat begangen?"
Vom IS-Teenie zum potenziellen Attentäter in Wien
Bisher war bekannt, dass der Jugendliche am Hauptbahnhof geplant hatte, im Namen des IS Menschen anzugreifen und zu töten, um dann von der Polizei erschossen zu werden. Allerdings entschied er sich später anders und verließ den Bahnhofsbereich wieder, weil er, wie er später erklärte, den Mut verlor. Am folgenden Tag wurde er festgenommen. Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) wurde von einem ausländischen Partnerdienst gewarnt und kam so auf die Spur des 16-Jährigen. Dieser hatte in einem Telegram-Kanal, in dem sich 19 junge IS-Anhänger befanden, den Anschlag angekündigt.
Recherchen der APA ergaben, dass der 16-Jährige kurz vor dem geplanten Anschlag in diesem Kanal ein Selfie hochgeladen hatte. Das Selfie wurde im Keller seines Wohnhauses aufgenommen und bezog sich eindeutig auf den Wien-Attentäter, der am 2. November 202 in der Innenstadt vier Menschen getötet hatte, bevor er von der Polizei erschossen wurde. Inspiriert von dem Attentäter, der vor seinem Terroranschlag ein ähnliches Foto von sich online gestellt hatte, posierte der 16-Jährige in einem Tarnfarben-T-Shirt und hob den Zeigefinger gen Himmel, was das Erkennungszeichen des IS ist. In seiner anderen Hand hielt er ein gezücktes Kampfmesser, wobei ein Siegelring des Propheten Mohammed an einem Finger auffiel. Außerdem trug der 16-Jährige eine Attrappe eines Sprengstoffgürtels in Form eines Gilets.
Der jugendliche Verdächtige, der derzeit in Untersuchungshaft sitzt und von der Staatsanwaltschaft Wien wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation ermittelt wird, gab kürzlich während einer Befragung an, dass er den späteren Attentäter persönlich kennengelernt habe, kurz nachdem dieser aus dem Gefängnis entlassen worden war. Der Schüler einer HTL mit nordmazedonischen Wurzeln hatte versucht, sich dem IS in Syrien anzuschließen und wurde dafür zu 22 Monaten Haft verurteilt. Der spätere Attentäter wurde im Dezember 2019 aus der Haft entlassen. Wie der 16-Jährige nun berichtete, traf er kurz danach zufällig mit anderen Personen den damals 20-Jährigen in der Millennium-City in Wien-Brigittenau, wobei der spätere Attentäter der Gruppe von seiner Festnahme und der anschließenden Haft erzählte.
Radikalisierung im Klassenzimmer in Wien: Warnsignale blieben unbemerkt
Diese Begegnung scheint einen bleibenden Eindruck auf den damals 13-jährigen Jungen gemacht zu haben. Gemäß seinen Aussagen fühlt er sich seit seinem 14. Lebensjahr mit dem IS verbunden. Der Attentäter von Wien dient ihm als "Vorbild". Er hatte auch vor, eine Schusswaffe zu bekommen, konnte sich jedoch aufgrund fehlender finanzieller Mittel kein Gewehr leisten. Dies berichtete der Junge kürzlich dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT). Deshalb begab er sich wenige Wochen vor September 2023 mit 500 Euro in ein Waffengeschäft an einer U-Bahn-Station, um eine Glock oder eine Beretta zu kaufen. Der Verkäufer erklärte ihm jedoch, dass er zu jung für eine Pistole sei und außerdem einen Waffenpass benötigen würde.
Der 16-Jährige erklärte gegenüber dem Wiener LVT, dass er beabsichtigt hätte, seinen Anschlag "genauso zu machen" wie der Attentäter vom 2. November 202, wenn er Zugang zu Waffen gehabt hätte. Da er jedoch keine Schusswaffen hatte, besorgte er sich anschließend für 20 Euro ein Feldmesser mit einer Klingenlänge von 16,5 Zentimeter in einem Geschäft. Gemäß seiner protokollierten Aussage plante der IS-Anhänger, mit diesem Messer am Hauptbahnhof mehreren Menschen in den Hals zu stechen. Er beabsichtigte nicht nur, sie zu verletzen, sondern zu töten, um zu zeigen, dass Menschen Allah fürchten sollten. Während er die Personen erstochen hätte, plante er auch, "Allahu Akbar" zu rufen, damit alle wissen, warum sie sterben. Er glaubte, dass er durch das Töten ins Paradies gelangen würde, um Streitigkeiten mit seinem Vater zu entgehen. Der IS-Anhänger betonte, dass er keinen allgemeinen Groll gegen Menschen hegt, jedoch sollten Polizisten, Soldaten und Homosexuelle sterben.
Der Jugendliche, der in Wien aufwuchs, stammt aus einer Familie mit türkischem Hintergrund und ist das jüngste Kind. Mit sechs Jahren verlor er seine Mutter. Nach dem Abschluss einer sonderpädagogischen Schule im Sommer 2023 meldete er sich arbeitssuchend beim AMS. Er gab an, keine Freunde zu haben und in der Schule gemobbt worden zu sein. Einmal musste er sogar wegen einer Kopfverletzung ins Krankenhaus gebracht werden, nachdem ihn ein Mitschüler gegen eine Eisenstange geschleudert hatte. In dieser schwierigen Lebenssituation fand der Jugendliche zum Islam. Er begann, fünfmal am Tag zu beten, und lehnte aus religiösen Gründen den Konsum von Alkohol und Nikotin ab. Er besuchte regelmäßig eine Moschee in Wien-Meidling, die unmittelbar nach dem Anschlag vom 2. November 202 durchsucht und vorübergehend geschlossen wurde. In dieser Einrichtung durfte der 16-Jährige sogar eine Art Sicherheitsaufgabe übernehmen. Unter anderem war es seine Aufgabe, darauf zu achten, dass die Schuhe der Besucher ordentlich aufgereiht waren, während diese ihr Gebet verrichteten.
Der Attentäter von Wien besuchte auch diese Moschee und dürfte dort radikalisiert worden sein. Der Vater des 16-Jährigen widersetzte sich jedoch den zunehmend strenggläubigen Tendenzen seines Sohnes. Er verbot ihm, seine Hosen über die Knöchel hochzukrempeln und einen Bart zu tragen. Als der Junge nicht auf Letzteres reagierte, rasierte ihm der Vater sogar den Bart ab. Der Vater untersagte dem Jugendlichen auch den Besuch der Moschee in Meidling. In einer Befragung durch den Verfassungsschutz gab der Vater an, dass ihn ein dort tätiger Koranlehrer in seiner Wohnung aufgesucht habe. Der Vertreter der Moschee habe ihm erklärt, er wolle seinem Sohn "helfen", da dieser "den Koran gut lesen könne". Der Vater wies den Besucher aus der Wohnung, da er offensichtlich "kein guter Umgang für meinen Sohn" gewesen sei. Dabei verwies er, laut schriftlichem Protokoll, auf den "zotteligen Bart" und die "unangebrachte" Bekleidung des Besuchers.
Der 16-Jährige scheint jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt eine weit fortgeschrittene radikalislamistische Einstellung gehabt zu haben, wie die neuesten Handy-Auswertungen zeigen. Am 20. Februar 2023 teilte er in einer WhatsApp-Gruppe, die er für seine Schulklasse erstellt hatte, IS-Propaganda-Videos. Am 7. Mai schickte er einem Mitschüler einen Kampfgesang des deutsch-marokkanischen Extrem-Salafisten Monir Chouka. Und am 7. Juli verbreitete er drei Fotos, die offenbar in den Klassenräumlichkeiten aufgenommen wurden. Die Bilder zeigen den lächelnden 16-Jährigen mit seinem ausgestreckten rechten Zeigefinger vor der Schultafel, auf der mit Kreide das IS-Logo und Symbole des IS abgebildet sind.
Weder die Lehrkräfte noch die Schulleitung waren bis zur Verhaftung des Jungen über seine Gesinnung informiert. Sein Erscheinen in der Klasse mit einem Messer im Jahr 2022 führte zu einer zweiwöchigen Unterrichtssuspendierung, die auf Schwierigkeiten mit Mitschülern zurückgeführt wurde. Vor seiner Festnahme war der Jugendliche weder polizeilich bekannt noch als potenzielle Gefahr aufgefallen. Eine Lehrerin erinnerte sich jedoch im Nachhinein an einen Schulausflug zum Schneeberg, bei dem der 16-Jährige einen Gebetsteppich aus seinem Rucksack holte und darauf bestand, seinem Gebetspflicht nachzukommen, als im Tal die Kirchenglocken läuteten.
Teenager mit IS-Anschlagsabsichten kannte Wien-Attentäter
Es bleibt unklar, was den Jugendlichen dazu bewogen hat, den Hauptbahnhof zu verlassen, ohne das Messer, das er an seiner Hüfte befestigt hatte, zu benutzen. Ursprünglich gab er an, aus Angst vor den Konsequenzen seinen Plan nicht umgesetzt zu haben. Er argumentierte, dass er befürchtete, den Anschlag zu überleben und festgenommen zu werden, anstatt als Märtyrer ins Paradies zu gelangen. Später erklärte der Jugendliche, dass ihm "eine innere Stimme irgendwie gesagt habe, es nicht zu tun". Möglicherweise spielte auch eine Rolle, dass er einen Gegenstand, der Teil seines Plans war, in seiner Wohnung vergessen hatte. Demnach plante der IS-Anhänger, einen Böller in die Menschenmenge zu werfen und während der dadurch entstehenden Aufregung auf Menschen einzustechen. Den pyrotechnischen Gegenstand hatte er zu Hause zurückgelassen.
Der österreichische Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) betonte am Montag während einer Pressekonferenz in St. Pölten, dass die DSN in diesem Fall "sehr erfolgreich gearbeitet hat". Die Verhaftung erfolgte, "bevor irgendetwas passiert ist". Der österreichische Nachrichtendienst hat keine Erlaubnis zur Überwachung von Messengerdiensten. Daher ist man in solchen Fällen "in manchen Bereichen auf internationale Kontakte und Informationen angewiesen", erklärte der Innenminister in Bezug auf die Tatsache, dass die Warnung von einem ausländischen Partnerdienst stammte.
Nachdem der 16-Jährige in seinen Verhören mit dem Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) offen und ohne Zurückhaltung über seine Anschlagspläne berichtete, hat die Behörde die Staatsanwaltschaft dazu aufgefordert, eine Untersuchung zur geistigen Reife des Jugendlichen einzuleiten. Überraschenderweise bezeichnete der Jugendliche bis zuletzt den IS als "die religiöseste Gruppe der Welt", die angeblich alles richtig mache. Die Mitglieder des IS würden angeblich "für die Wahrheit kämpfen". Auch die gesetzlich vorgeschriebenen Untersuchungen des Jugendgerichtshilfe ergaben Hinweise auf mögliche intellektuelle Defizite des 16-Jährigen.
Anschließend ersuchte die Staatsanwaltschaft eine Kinder- und Jugendpsychologin, ein Gutachten zu erstellen, um festzustellen, ob der Verdächtige im Zeitraum von Februar bis September 2023 überhaupt die Reife besaß, die ihm zugeschriebenen Handlungen als Unrecht zu erkennen, oder ob die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum erfüllt sind. Es wird erwartet, dass in Kürze festgestellt wird, ob der 16-Jährige schuldfähig ist. Das Gutachten der Sachverständigen wird in den kommenden Tagen erwartet.
Inzwischen ist bekannt, wo der 16-Jährige nach dem abgebrochenen Anschlag und seiner Festnahme die Stunden verbracht hat. Während die Polizei intensiv nach dem Jugendlichen suchte, vor dem eine Warnung aus dem Ausland eingegangen war, brach die Cobra die Wohnung seines Vaters in Wien-Leopoldstadt auf, wo der Jugendliche zuletzt gelebt hatte. Anschließend begab er sich in eine bengalische Moschee in Wien-Leopoldstadt, betete dort und unterhielt sich mit einem anderen Gläubigen. Danach ging er in seine Moschee im zwölften Bezirk. Allerdings durfte er dort nicht übernachten, so dass er nach dem Nachtgebet die U-Bahn nach Floridsdorf nahm. Das Islamische Zentrum war jedoch geschlossen, so dass er die Nacht auf einer Bank auf der Donauinsel verbrachte.
Am folgenden Tag kehrte er zur Moschee in der Leopoldstadt zurück, wo er dann von der Wega festgenommen wurde. In seiner neuesten Vernehmung erklärte der 16-Jährige: "Zu dem Zeitpunkt meiner Festnahme hatte ich bereits den Plan aufgegeben. Ich habe mich nicht mehr getraut und seitdem keine weiteren Anschlagspläne mehr gehabt." Darüber hinaus fügte er hinzu: "Ich würde heute diese Tat nicht mehr begehen wollen. Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder so etwas tun möchte."
(APA/Red)